Wenn man in einem Zeugnis liest „Er hat sich redlich bemüht ...“, dann heißt das im Klartext, dass es eben doch nicht ganz gereicht hat. So ist es auch mit dieser mit großem, persönlichen Engagement und für einen guten Zweck – der Erlös geht an soziale Einrichtungen – produzierten Musical-Aufführung der Düsseldorfer „Creative Arts Group e.V.“, bei der sich schnell die Frage stellt, warum man als halbprofessionelle Truppe mit „Dr. Jekyll & Mr. Hide“ auf eines jener Event-Musicals zurückgegriffen hat, die ohne bühnentechnischen Aufwand kaum realisierbar sind. Der Arzt Dr. Jekyll erweckt mit Eigenexperimenten sein anderes, böses Ich zum Leben und verbreitet als Mr. Hyde Angst und Schrecken im London des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Deshalb fallen auch die schauspielerischen Mängel des vor einer scherenschnittartigen Silhouette von London agierenden Ensembles besonders in Gewicht. Die wenig einfallsreiche Inszenierung erinnert eher an eine mit Spielelementen durchsetzte konzertante Aufführung als an eine dramaturgisch-szenische Auflösung, wird eigentlich nur von den packenden Songs von Frank Wildhorn, wie „I need to know“ und „This is the Moment“ zusammengehalten. Hier brilliert vor allem das von Timo White präzise geführte Orchester, das sich einfühlsam auf die gesanglichen Möglichkeiten der Darsteller einlässt.
Ähnlich wie „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ in Erkrath leidet auch „Frankenstein“ an den produktionstechnischen Vorgaben. Obwohl die Messlatte hier nicht so hoch war, stammt das 2007 uraufgeführte Stück doch vom Off-Broadway. Allerdings musste das von Marc Baron (Musik) und Jeffrey Jackson (Buch, Liedtexte) geschriebene Musical dort schon nach 45 Vorstellungen die Segel streichen. Vielleicht auch, weil das Publikum bei dieser Umsetzung von Mary Shelleys literarischer Vorlage mehr Bühnenzauber und eingängigere Melodien erwartet hatte. Immerhin ist es den 2003 gegründeten „Musicalities“ zu verdanken, dass „Frankenstein“ jetzt seine Deutschlandpremiere in Kleve erlebte.
Die am Ende des 18. Jahrhunderts spielende Geschichte um Dr. Frankenstein, der aus Leichenteilen einen künstlichen Menschen kreiert und damit ein mordendes Monster erschafft, bietet durchaus schaurig-spannendes Entertainment. Leider lässt die Regie von Stefan Haberkorn, der auch die Titelrolle übernommen hat, im ersten Akt die Zügel etwas schleifen, was teilweise zu Textunverständlichkeiten führt, die nicht nur an der technisch unzureichenden Micro-Port-Anlage liegen. Im zweiten Akt wird die Inszenierung dann dichter, hat er das engagierte Ensemble besser im Griff. Barons Songs schleichen sich musikalisch immer mehr ins Ohr, auch wenn die Reim-Lyrik der deutschen Übersetzerin Vera Domik manchen Stolperstein in den Gehörgang legt. Störender ist da nur, dass man zwar die Hinterköpfe der Darsteller anstrahlt, ihre Gesichter aber im Dunkeln lässt. So mussten sie sich über ihre durchaus passablen Sing-Stimmen definieren, unterstützt von einem enthusiastisch aufspielenden, 17köpfigen Live-Orchester unter dem dynamischen Dirigat von Stephan Langenberg.
www.cagev.com I www.frankensteindasmusical.de
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Orchester zum Teil gehörig daneben, Darsteller unterbewertet
Mir hat Jekyll und Hyde in Erkrath im relativ gut gefallen für eine semiprofessionelle Aufführung. Ich habe das Musical schon an vielen großen Theatern gesehen und natürlich hatte ich nicht so hohe Erwartungen, als hätte ich mir nun eine Großproduktion der Stage Entertainment oder der VBW angeschaut, doch ich war beeindruckt, was die Darsteller mit wenig Mitteln auf die Beine gestellt haben. Dagegen störte es mich doch sehr, dass die Songtexte auf Englisch waren, es riss mich zwischendurch immer wieder sehr aus der Stimmung. Das Orchester gefiel mir streckenweise sehr gut, den ein oder anderen Verspieler muss man jedoch eingestehen. Es kommt hier sicher auch auf die Vorstellung an, die man anschaute. Der Chor (selbst in Großproduktionen sieht man selten so beeindruckend viele Menschen auf der Bühne) und die gesangliche Leistung der Hauptdarsteller sind außerdem erwähnenswert, besonders die Darstellerin der Lucy, Nadine Pauly. Die Inszenierung war leider wenig kreativ und stellenweise unbedacht, hier wäre sicher mehr drin gewesen. Für den guten Zweck aber trotzdem sehenswert!
Frankenstein hat es als Musical sicher schwerer, es ist weniger bekannt und eingängig und musikalisch zum Teil sehr skurril. So hatte ich etwas Bedenken, wie es wohl in Kleve umgesetzt wird. Die Regieführung war an sich nicht herausragend und man hätte sicher mehr Freiraum zu einer moderneren Inszernierung gehabt, auch wenn das im Musical-Bereich ja eher unüblich ist, doch es war in sich stimmig und leitete den Zuschauer auch durch kompliziertere Handlungsebenen. Positiv fielen mir im Gegensatz zu meinem Vorredner die deutschen Texte von Vera Domik auf. Absolut flüssig, verständlich und lyrisch im vergleich zum Original. Nicht zu leugnen sind jedoch die massiven Defizite bei Licht- und Tontechnik, die Kostüme widerrum waren sehr stimmig und zeitlich passend. Orchester und Gesang boten allerdings Unterhaltung auf extrem hohem Niveau, Dirigent Stefan Langenberg ließ nur wenige Patzer durchgehen, die Solisten warteten beinahe alle mit ausgebildeten Stimmen auf und auch die Chorstücke waren sehr hörenswert. Wenn es zu weiteren Aufführungen kommt, müssten Licht und Technik verbessert werden.
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