Bitte berühren: benützen, in die Hand nehmen – gleich an zwei Orten begegnet uns die ungewöhnliche Aufforderung gegenüber Kunst. Die traditionell passive Herangehensweise, der vorsichtige Abstand ist streckenweise aufgehoben, der Betrachter ist einbezogen und animiert, das Kunstwerk zu vollenden. Ob’s wohl noch damit zusammenhängt, dass beide Künstler, Franz West wie auch Martin Walde (die beide in der Stadt ansässig sind, mit der sie den ersten Buchstaben teilen: in Wien) aus Österreich stammen, aus einem etwas unangepassten, kulturell kritischen Umfeld? Bei West und Walde hängt das Unterlaufen von Konventionen noch mit dem Charakter ihre Werke und deren Aktualität zusammen. Beide schöpfen aus dem Gesellschaftlichen und ragen mit ihrer Arbeit wieder dort hinein. Sie sind Grenzgänger mit sicherem Gespür für die Zusammenhänge: Walde zwischen Kunst, Spiel und naturwissenschaftlichen Vorgängen. Franz West zwischen autonomer Kunst, Alltagskultur und Design. Mit der rauen, gar trashigen Anmutung seiner Bilderwände aus Zeitungsausschnitten, mit seinen Möbelskulpturen und Skulpturenmöbeln und den amorphen Plastiken gehört West seit drei Jahrzehnten jenseits anerzogener Ästhetik zu den eigenwilligsten Erneuerern der Kunst – sein Werk ist noch beispielgebend für Heerscharen junger Künstler. Schon deshalb sollte man sich die Werkübersicht, die das Museum Ludwig in Köln dem 1947 geborenen Künstler ausrichtet, anschauen. Der Betrachter wird hier zum Akteur, indem er sich auf einen der nicht ganz bequemen Stühle setzt oder hinter einem Paravent schriftlichen Anweisungen folgt oder die „Passstücke“ „benutzt“. Diese Plastiken bestehen aus grobem weißtonigem Gips und Papiermaché. Wie Körperfragmente oder robuste „Kleidung“ „angepasst“ oder je nach Laune aufgenommen, entfalten sie ein beunruhigendes, gegenüber dem Betrachter symbiotisches Eigenleben. Wunderbar eigenbrötlerisch, doch auf die Ausstellung von Martin Walde (geb. 1957 in Innsbruck) habe ich mich fast noch mehr gefreut. Seine Schau im MARTa Herford umfasst erstmals das gesamte Spektrum, bezieht noch Zeichnung, Foto, Video ein und legt bei der Mehrzahl der Arbeiten so gut wie alles in die Hände des Publikums. Walde verwendet ungewöhnliche, „heutige“ Materialien für animierende Vorgänge, die zu Transformationen führen. Oft sind die Ausgangsstoffe porös, hell, weich, ausgesprochen fragil. Dazu gehören Knetmasse (die dann in der Mikrowelle gebrannt wird) ebenso wie Papier (das über einem Rohling zum kantigen Körper wird). Und Walde geht anhand einfacher Handlungen Naturgesetzen auf den Grund, Kunst wird zum Labor mit sozialen Implikationen. Daneben finden sich so berührende, weil ganz unprätentiöse Arbeiten wie das Geschrei und das Toben einer Katze hinter einer verschlossenen Tür, man sieht auf dem Boden einige Dutzend Schlüssel, unter denen man den richtigen heraussuchen könnte. Auch hier, es ist der Betrachter, der die Kunst erweckt. Noch an unserer körperlichen Verfasstheit orientiert, sind die Arbeiten von West wie von Walde mitten aus dem Leben, und zwar ziemlich.
Franz West – Autotheater I bis 14. März im Museum Ludwig in Köln
www.museum-ludwig.de
Martin Walde – Unken I bis 18. April im MARTa Herford
www.marta-herford.de
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