Traumdeuter machen sich am Eröffnungsabend auf den Weg, zuvor eingereichte Traumerzählungen relativ spontan musikalisch auszulegen und zum Klingen zu bringen. „Dreams“ heißt das Motto der aktuellen Ausgabe des Zamus: Early Music Festival, der letzten Spielzeit mit dem Künstlerischen Leiter Ira Gigol. Die aktuelle Festivalbroschüre benötigt annähernd 30 Seiten, um dieses Thema in ihren möglichen Dimensionen zu öffnen und auch einzugrenzen.
Da befinden sich Jonathan Kehren und Panos Illiopoulos als Handwerker an Violine und Cembalo vor Ort wahrlich nahe am Subjekt. Um die Mystik des Geschehens zu erhöhen, kommen zwei magische Hüte zum Einsatz: Aus dem einen werden die notierten Traumfetzen gezogen, aus dem anderen die der Improvisation zugrunde liegende barocke Musikform. So verwandeln die beiden den beliebten Horror des tiefen Falls vielleicht in ein Thema mit Variation. Diese interaktive Konzertform erinnert an das letztjährige Festivalmotto „Games“.
Viele alte Bekannte mischen sich in dieses umfangreiche Programm an gewohnt verschiedenen Plätzen in Köln. Herrlich zum Thema passen die Spielstätten Ventana und Basilika St. Ursula, in letzterer träumen junge Talente der Zamus: Academy von ihren Karrieren mit Musik des 18. Jahrhunderts. Anschließend inspiriert das belgische Vokalensemble „Graindelavoix“ eine Reise zum Tod im Leben: Der beliebte gregorianische Gesang über „Media vita in morte sumus“ durfte nach einem Beschluss der Synode von Köln im 12. Jahrhundert nur mit der Erlaubnis eines Bischofs aufgeführt werden. Im Herbrand‘s, einer neuen Spielstätte des Festivals, findet ein Großteil der traditionellen „Marathon“-Veranstaltung statt. Hier singen am Nachmittag das Ensemble Evas Äpfel Wiegenlieder aus fünf Jahrhunderten, nicht alle laden dabei zu einem Nickerchen ein. Mütter, Hebammen und Nonnen haben diese mündlich überliefert – und mit Perkussion wird hier vor dem bösen Wolf gewarnt. Ein Orakel in Form eines Laptops bemüht anschließend das Orchester Boulevard Baroque, um mithilfe des Publikums verschiedene Arien und Sonaten von Monteverdi bis Biber zu bestimmen, die aufgeführt werden – so gezielt zufällig, wie diese kleine Vorschau. Ein Blick auf das Gesamtprogramm lohnt immer – eine wilde Woche in Köln.
Zamus: Early Music Festival 2024 | 21. - 29.5. | div. Orte in Köln | www.zamus.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Sinfonische Vollender
Gil Shaham in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 11/24
Weiblicher Beethoven
Emilie Mayers 5. Sinfonie im Konzerthaus Dortmund – Klassik an der Ruhr 10/24
Ein Himmel voller Orgeln
Zwei Orgelfestivals in Köln und Düsseldorf – Klassik am Rhein 10/24
Mit virtuoser Blockflötistin
33. Festival Alte Musik Knechtsteden in Dormagen und Köln – Klassik an der Ruhr 09/24
Nach François-Xavier Roth
Der Abgang des Kölner GMDs sorgt für Umbesetzungen – Klassik am Rhein 09/24
Barock und Filmmusik
Open-Air-Konzerte „Viva Italia!“ im Ruhrgebiet – Klassik an der Ruhr 08/24
Exotische Musik
„Sounds of Nature“ und „Diálogos de amor“ beim Niederrhein Musikfestival 2024 – Klassik am Rhein 08/24
Akademische Bürgernähe
Michael Ostrzyga dirigiert „Elias“ in Bergheim und Köln – Klassik am Rhein 07/24
Pop-Hit trifft düstere Rarität
Semesterkonzert an der RUB – Klassik an der Ruhr 07/24
Bruckners „verfluchte“ Neunte
„Von Herzen – Letzte Werke“ in Bochum – Klassik an der Ruhr 06/24
Mit Hochdruck bei der Arbeit
Die Orgelfeierstunden im Kölner Dom – Klassik am Rhein 06/24
Ungewünscht brandaktuell
Auftakt zum Klangvokal Festival Dortmund 2024 – Klassik an der Ruhr 05/24
Aus Alt mach Alt
Tage Alter Musik in Herne 2024 – Klassik an der Ruhr 11/24