In der seit dem Bruch der Ampelkoalition heftig geführten Debatte um die Schuldenbremse kommt bislang nur am Rande vor, dass sie ein klotziges Konjunkturprogramm à la „Bazooka“, „Wumms“ und „Doppelwumms“ verhindert. Und das, obwohl sich die deutsche Wirtschaft das zweite Jahr in Folge in der Rezession befindet. Eine Anregung täte „unserer“ Wirtschaft sicherlich ganz gut, angesichts eines Investitionsstaus von rund 600 Milliarden Euro. Dass der Staat zu wenig zum Erhalt der Infrastruktur tut, fällt mittlerweile sogar internationalen Organisationen wie der OECD und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) auf. Ursache dafür, dass es das früher halbwegs effizient funktionierende Deutschland nicht mehr gibt, ist die im Grundgesetz verankerte, vollkommen bekloppte Schuldenbremse.
Vollkommen bekloppt!
Dennoch wird in Leitmedien, Talkshows und selbst in neutral anmutenden Nachrichtensendungen immer noch ohne Scham jenes Märchen zum Besten gegeben, wonach Staatsschulden zulasten der jungen und künftigen Generationen gingen. Dass solche Erzählungen auch noch auf öffentliche Unterstützung treffen, wie Umfragen zeigen, macht einmal mehr deutlich, dass nach mehr als 40 Jahren neoliberaler Propaganda eine Mehrheit der Bundesbürger mehr Angst vor öffentlichen Schulden hat als vor einem zerrütteten Klimasystem und dem Zerfall der öffentlichen Infrastruktur — von Straßen, Brücken und öffentlichen Gebäuden über frühkindliche Betreuung, Bildung, Gesundheits- und Pflegewesen bis hin zu sozialer Absicherung.
Schuldenfrei und bankrott
„Aber ist es denn nicht unfair, wenn die junge Generation in eine von hohen Schulden belastete Zukunft geht?“, heißt es dann. Nur: Was hat die junge Generation von schuldenfreien Staatsfinanzen, wenn sie in baufälligen, überfüllten Schulen lernt, wo sie aufgrund von Personalmangel von völlig überarbeiteten Lehrkräften unterrichtet werden, die auch noch immer schlechter ausgebildet sind? Was soll das für eine Zukunft sein, in der Straßen, Brücken und Schienen verfallen sind, der Klimawandel immer mehr irreversible Kipppunkte überschritten hat und das Gesundheitssystem seinen Namen nicht mehr verdient, weil es selbst sterbenskrank ist? Ist das die gute Zukunft, die sich die Apologeten der Schuldenbremse vorstellen?
Illegal oder egal?
Hinzu kommt noch ein weiterer Aspekt, der von eigentlich niemandem thematisiert wird: der zutiefst antidemokratische Charakter der Schuldenbremse. Man stelle sich nur für einen Moment eine von einer parlamentarischen Mehrheit getragene Bundesregierung vor, die eine soziale, ökonomische und ökologische Umgestaltung einschließlich einer Egalisierung der Eigentumsverhältnisse ernsthaft betreiben wollte. Bevor sie auch nur damit beginnen könnte, Wohnungen und Schulen zu bauen, Personal einzustellen und – träumen muss erlaubt sein – Banken, Wohnungs- und Energiekonzerne zu vergesellschaften, würde das von der Schuldenbremse verunstaltete Grundgesetz sie daran hindern. Eine sozial-ökonomisch-ökologische Umgestaltung kostet nämlich erst einmal Geld, bevor über Vermögens- und Erbschaftssteuern sowie Gewinnabschöpfungen aus den Kassen der Superreichen und Monopole Geld sprudelt. Ohne Zweidrittelmehrheit im Bundestag und einer Mehrheit im Bundesrat bliebe jede außergewöhnliche Schuldenaufnahme formal illegal.
Die Schuldenbremse ist nicht reformierbar. Sie muss weg! Und zwar sofort!
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