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Freiheit oder Überforderung?
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28. November 2024

Teil 2: Leitartikel – (Pop-)Kultur als Spiel mit Vergangenheit und Gegenwart

War es jemals einfacher, in Erinnerungen zu schwelgen, als heutzutage? Streaming-Dienste versorgen uns mit Filmklassikern von „Singin‘ in the Rain“ bis „Good Bye, Lenin!“ oder mit der Musik aus Jugendtagen. Ob originale „My Little Pony“-Figürchen aus den 80ern oder Monchhichis, wer auf der Suche nach dem Spielzeug seiner Kindheit ist, muss nicht mehr mühsam Trödelmärkte abklappern, sondern wird in Minuten auf Plattformen wie Kleinanzeigen fündig. Der Einkauf in die Vergangenheit – möglich gemacht ausgerechnet durch den Plattformkapitalismus, der unsere Gegenwart plagt.

Da lassen besorgte Stimmen natürlich nicht lange auf sich warten: Hollywood macht nur noch Marvel oder Remake, und irgendwer zahlt ja die horrenden Kinopreise. 50 Jahre Hip Hop, seitdem keine ähnlich erfolgreichen Innovationen mehr in Sachen Musikrebellion und Subkultur, schlimm. Und warum hat die Jugend jetzt eigentlich wieder dieselben Klamotten an wie 2003? Alles wiedergekäut. So geht’s doch nicht voran!

Flucht in den Trend

Dann gibt es Leute, die sich nicht damit anfreunden können, ihren eigenen Programmdirektor spielen zu müssen. Sehnsüchtig denken sie an die Ära der drei Fernsehsender zurück oder können sich ob des endlosen Angebots kaum für einen bestimmten Radio-Podcast entscheiden. Ihre Nostalgie ist dem Wissen gewidmet, dass Fachkräfte in Medienhäusern und Verlagen ihnen das Urteil abnehmen, welche Inhalte Aufmerksamkeit verdienen und welche Zeitverschwendung sind. Also: Neue Ideen gerne, aber bitte wohl kuratiert und in gut verdaulichen Portionen angeboten? Ist das nicht ähnlich uninspiriert wie die Flucht in die Modetrends der letzten Jahrzehnte? 

Man kann wunderbar im Kreis diskutieren, ob ein Freigeist die Möglichkeiten des Digitalen nutzt, um selbstbestimmt in die vertrauten Muster von früher zu fliehen oder sich lieber betreut und behutsam an das Neuartige heranführen lässt. Aber interessant wird es doch eher, wenn die dritte Neuauflage des „My Little Pony“-Cartoons junge Männer aus aller Welt zu eigenen Comics, Parodien und Musik inspiriert. Wenn der Videoschnipsel, in dem ein längst vergessener B-Promi aus der zweiten Staffel von „Big Brother“ sein Leid klagt, auf einmal wieder witzig ist, weil ihn jemand mit der Überschrift „Ich bei der Arbeit” bei Instagram gepostet hat. Wenn wir dem Lieblingsessen aus unserer Kindheit unseren eigenen Kniff verleihen – schmeckt Omas Erbsensuppe eigentlich auch mit Räuchertofu statt mit Mettwurst?

Erbsensuppe-Remix

Kurz: Wenn passiver Konsum und die unkritische Sehnsucht nach damals endet und Menschen anfangen, die gesammelten Bilder und Referenzen zu verändern, zu remixen, neu zu erfinden. Dass da auch einiges an Unsinn bei rumkommt, ist klar. Aber auch die Beschäftigung mit Unsinn kann ja durchaus faszinierend sein. Und öfter, als man meint, entsteht Bahnbrechendes. So war es schon bei Dantes Inferno, so ist es heute, wenn das Pop-Amalgam Chapell Roan Musik von Kate Bush bis Lana Del Rey und queere Drag- und Ballroomkultur gleichermaßen als Einflüsse nennt. Im September wurde Roan in das House of Colby aufgenommen, eines der erfolgreichsten Drag-Kollektive der Welt. Das verkündete Hausmutter Sasha Colby, als sie Roans Auftritt bei den Video Music Awards anmoderierte. Queere Kultur, ohne Angst oder Scham zur Schau gestellt, auf einer der größten Musikbühnen überhaupt. In Zeiten, in denen Konservative wieder auf die Kriminalisierung genau dieser Kultur drängen. Da lohnt es sich, genau hinzuschauen.

Anna Kox

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