Vielleicht hängt es mit der Popularität von Kunst im Jahr der documenta zusammen, dass derzeit so viele Ausstellungen auf höchstem Level stattfinden. Leverkusen stellt Rosemarie Trockel im Dialog mit Paloma Varga Weisz aus, das Kunstmuseum Bonn zeigt Lewis Baltz, Köln Claes Oldenburg und die Küppersmühle Duisburg und die Bundeskunsthalle Bonn Anselm Kiefer und die Langen Foundation in Neuss Sofia Hultén. Und im Ständehaus der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf ist eine Ausstellung mit Thomas Schütte (geb. 1954) zu sehen, der vor einigen Jahren mit dem Goldenen Löwen der Biennale Venedig ausgezeichnet wurde. Gezeigt wird seine Arbeit „Wattwanderung“ aus dem Jahr 2001, bestehend aus 138 Radierungen. Thomas Schütte hat einzelne Dinge, Gesichter, Natur knapp notiert und teils um Worte ergänzt. Gerade dieses Lapidare zwischen Alltag und spürbarer Umkreisung erweist sich als Sensorium und Trauerarbeit zu den so schrecklichen Ereignissen von 2001. Und indem die Radierungen an Spannleinen aufgehängt sind, wird die Bewegung dazwischen zu einem Impuls der Bildfolge. Der Betrachter bahnt sich einen Weg, er wechselt seinen Kurs, blickt zurück und schaut auf die weißen Rückseiten. Im Ständehaus hat Schütte zwischen den Räumen mit den Radierungen überdies zwei seiner überlebensgroßen „Krieger“ aus Holz platziert, die das Thema von privatem Frieden und öffentlicher Katastrophe als Skulptur vertiefen. Thomas Schütte, dieser wirklich bedeutende, dabei so zurückhaltende und lakonische Künstler benennt gesellschaftliche Anliegen und thematisiert sie auf eindringlich anschauliche Weise.
Wie anders wirkt doch die Ausstellung mit Bridget Riley in Siegen! Dort zeigt das Museum für Gegenwartskunst anlässlich der Verleihung des Rubenspreises ihre gegenstandsfreien üppigen Farb-Malereien seit den 1980er Jahren. Man kann der 81jährigen Engländerin ewig zuhören. Sie ist eine präzise und charmante Vermittlerin ihrer Werke und ihrer Sicht auf die Kunstgeschichte; ein Buch mit ihren Texten umfasst 400 Seiten. Aber birgt das nicht die Gefahr, dass die Kunst selbst zu theoretisch oder didaktisch ausfällt? Indes geht bei Bridget Riley alle Malerei vom Sehen aus, einsetzend mit der Erfahrung von Landschaft und Natur. Mit ihrer Kunst gilt sie als Klassikerin der Op Art und heute als Vertreterin einer organischen Konkreten Kunst. Die Ausstellung in Siegen aber belegt, wie vielschichtig dieses Werk ist, und warum Riley zu den großen Malern der Gegenwart gehört, ausgezeichnet mit dem Großen Preis für Malerei der Biennale Venedig und dem Praemium Imperiale. Ihre Gemälde und Wandmalereien umfassen, als All-Over ohne Zentrum, vertikale, teils diagonal gebrochene Reihen farbiger Streifen oder Kurven und geschwungene Farbformen, die sich umlagern. In Siegen geht es immer wieder um Rottöne. Die Bilder strahlen Ruhe, Stabilität und Dynamik zugleich aus … Während Thomas Schütte den Zustand unserer Zivilisation wie leichthin in verschiedenen künstlerischen Medien reflektiert, thematisiert Bridget Riley das Wahrnehmen unseres Lebensraumes mittels akkurater Malerei. Beide Künstler forschen nach dem Wesen und der Basis unserer Existenz, über alle politischen und ästhetischen Fragen hinaus.
„Thomas Schütte – Wattwanderung“ I bis 9. September I K21 Ständehaus, Düsseldorf Iwww.kunstsammlung.de
„Bridget Riley – Rubenspreis der Stadt Siegen“ I bis 11. November I Museum für Gegenwartskunst Siegen I www.mgk-siegen.de
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