Es war ein anstrengendes Leben, das Hilla Becher an der Seite ihres Ehemanns Bernd Becher verbrachte. Wenn die beiden mit der Kamera unterwegs waren, um Bergwerke, Kühltürme oder Stahlwerke zu fotografieren, dann überwältigte sie mitunter ein Gefühl totaler Erschöpfung, wie sie sich heute erinnert: „Nicht selten waren wir so müde, dass der eine zum anderen sagte: 'Sollen wir erst noch etwas essen, oder gleich schlafen gehen'.“
Von der Schufterei im Dienst der Kunst kann Hilla Becher etwas erzählen, die über mehr als 40 Jahre mit Bernd Becher, der 2007 verstarb, gigantische Industrieanlagen erklommen hat. Auf dem Rücken trugen die beiden die schwere Ausrüstung. „Wir haben noch fotografiert, wie im 19. Jahrhundert“, erklärt sie. Die Industriekomplexe, die sie mit der Kamera dokumentierten, bevor viele von ihnen demontiert wurden, befanden sich ebenso in Deutschland wie in Frankreich, England oder den USA, und gewöhnlich besaßen sie die Dimension von Hochhäusern. Man musste über schmale Stege balancieren. Hilla hatte die Wachmänner abzulenken, die ihnen stets von den Werksleitungen an die Seite gestellt wurden, während Bernd fieberhaft die Kamera in Position brachte. Eine Auswahl der Beute ist jetzt in der Photographischen Sammlung der SK Stiftung zu sehen.
Heute zählen die Bechers zu den einflussreichsten Künstlern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ihre Arbeiten werden als Ikonen gehandelt. Aber wer glaubt, das alles schon gesehen zu haben, täuscht sich. Die „Hochofenwerke“ – so der Titel der Ausstellung – stellen so etwas wie den puristischen Kern ihrer Industriefotografie dar. Statt filigraner Fördertürme bekommt man den Blick in die Eingeweide der Industrieanlagen geboten. „Die Hochöfen waren chaotisch mit ihrem Dschungel aus Röhren. Sie hatten mit herkömmlicher Architektur nichts zu tun. Dennoch waren sie monumental und wucherten in eigenen Formen“, erinnert sich Hilla Becher, die nach dem Tode Bernd Bechers 2007 alleinige Repräsentantin des Werks ist, von dem nun alleine 250 Arbeiten in Köln zu sehen sind. Die Hochöfen gehören zu ihren Lieblingssujets, „weil sie nicht verschönert oder dekoriert werden konnten. Angesichts von Temperaturen über 2000 Grad ließen sie sich nicht verkleiden oder anstreichen. Formal sind sie deshalb so fremd und interessant. Hochöfen sind Individuen, da gibt es keine Zwillinge, jeder ist sein eigener Typus und sie lassen sich mit nichts assoziieren.“
Die Ausstellung ist überreich bestückt, aber wer sich von der Fülle der Serien nicht überwältigen lässt, findet einzigartige Landschaftsporträts. Während Bernd Becher offenbar vor allem daran gelegen war, die Anlagen lückenlos zu dokumentieren, legte Hilla Becher auch Wert auf das Umfeld der Werke. Großen Bildtexten gleich, fordern diese Aufnahmen heute zu eingehender Betrachtung auf. Sie belohnen mit Detailreichtum und Bildzeugnissen, die Eingang in eine Epoche bieten, in der sich das Gesicht Europas veränderte. Man begreift durch diese Fotografien, warum diese Anlagen so aussehen, wie sie aussehen, und warum die Bechers es auf sich nahmen, in das von Hitze und giftigen Dämpfen umtoste Innere dieser Monster vorzudringen. Auch wenn man auf diesen Bildern keine Menschen sieht, so bleibt das herbe Aroma des Zeitalters der Stahlkocher doch immer präsent.
„Bernd und Hilla Becher: Hochofenwerke“ | bis 26.1.2014 täglich außer Mi. von 14-19 Uhr | Photographische Sammlung | Mediapark 7 | www.photographie-sk-kultur.de
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