trailer: Herr Räfle, wie ist das von „Die Unsichtbaren“ Thema zu Ihnen gekommen?
Claus Räfle: Meine Koautorin Alejandra López und ich hatten 2008 einen Dokumentarfilm über das nationalsozialistische Spionage-Etablissement in Berlin für die ARD hergestellt. Während der Recherche fanden wir heraus, dass dort eine Jüdin mit falschen Papieren versteckt worden war. Das fanden wir spannend. Es musste doch noch mehr jüdische Berliner gegeben haben, die sich mit ungewöhnlichen Mitteln der Deportation entziehen konnten! Tatsächlich waren das einige, wie wir über die Gedenkstätte Stille Helden erfuhren. Über deren Schicksale ist aber sehr wenig bekannt. Über die Einrichtung bekamen wir dann schnell Kontakt zu vier Überlebenden.
Ein konkretes Projekt oder einen Auftrag hatten Sie aber zu dem Zeitpunkt noch nicht?
Nein, aber wir trafen die vier Zeitzeugen trotzdem und drehten mit ihnen lange, zweitägige Dokumentarfilm-Interviews, in der sie ihren Lebensgeschichten, von ihrer Illegalität und Rettung in Berlin erzählten. Das waren Geschichten, die auch Parallelen aufwiesen, so dass man sah: Dies waren keine Einzelfälle. Wir zogen danach voller Feuer los, aber niemand wollte das Projekt annehmen. Das größte Problem war, dass es natürlich kein Archivmaterial gab, mit dem man das Leben im Untergrund bebildern konnte. Erst im Jahr 2013 hatten wir das Glück, dass bei einem ARD-Wettbewerb das Potenzial erkannt wurde und wir das Drehbuch schreiben konnten.
Und wie entwickelte sich diese Hybridform eines spielfilmartigen Doku-Dramas?
Als wir anfingen zu schreiben, merkten wir, dass der Stoff eine emotionale Umsetzung braucht, damit er seine volle Wirkung entfaltet.
Eine Möglichkeit wäre ja auch gewesen, einen reinen Spielfilm daraus zu machen.
Für uns nicht. Wir haben gespürt, dass durch die Verbindung zwischen authentischen Erzählungen und spielfilmartiger Umsetzung eine interessante und tiefgehende Form entstehen könnte. Auch waren die Erlebnisse, auch in ihrer Fülle, teilweise geradezu unglaublich, so dass man sie bei einer normalen, parallel erzählten Fiktionalisierung schwer mit derartiger Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit hätte vermitteln können.
Als Besonderheit auf der Tonebene fällt auf, dass Sie in den Off-Kommentaren die Originalstimmen und die der Schauspieler fast verschränken.
Wir wollten die jungen Hauptdarsteller quasi als Off-Beteiligte in die Charaktere hineinklettern lassen und eine neue, moderne Erzählform schaffen. Es ist sonst oftmals schwierig, das Dokumentarische und das Fiktionale so zu verbinden, dass sich emotionale Wirkung entfaltet. Dann wird schnell die eine oder andere Ebene als lästig empfunden oder plätschert vor sich hin.
Wie sind Sie bei der Auswahl der Spielszenen vorgegangen?
Da hatten wir tatsächlich eine große Fülle an detailreichen Schilderungen. Wir haben Storylines entwickelt, die als Wesensmerkmal eine wichtige Parallelität erkennbar werden lassen sollten: das Überleben in der Illegalität. Es war für alle Betroffenen damals gleich, dass sie wie im Zeitraffer lernen mussten, sich mit einer anderen Identität durch die feindliche, nationalsozialistische Reichshauptstadt zu bewegen und mit einer hohen Wachsamkeit darauf zu achten, wo Gefahr droht. Alle vier mussten aktiv werden – sie konnten sich ja nicht jahrelang in irgendeinem Keller verstecken.
Im Gegenteil: Ihre Protagonisten lebten in der Öffentlichkeit und gingen sogar ins Kino.
Ja, das Kino war einfach ein sicherer Ort, wo man für zwei Stunden im Dunkeln sitzen und sich nach der Wochenschau mit einer Ufa-Produktion unterhalten lassen konnte. Oder schlicht für diese Zeit, im Warmem, erholsamen Schlaf fand und danach wieder dem entgegentreten konnte, was einen draußen erwartete.
Konnten Ihre Helden denn jetzt noch den eigenen Film sehen?
Ruth Gumpel und Cioma Schönhaus sind während der langen Entwicklungszeit des Projekts leider schon verstorben. Hanni Lévy und ihrer Familie konnten wir ihn schon im Shoah-Zentrum zeigen – das war für alle ein zutiefst bewegendes Erlebnis. Die Erzählungen der Mutter und Großmutter wurden auf warmherzige Weise plötzlich lebendig. Und den Nachfahren wurde nochmal klar, dass sie, wenn dieses Waisenmädchen damals nicht mit Hilfe einer einfachen Kinokassiererin überlebt hätte, sie alle heute nicht auf dieser Erde wären.
Sie selbst haben ja bislang vor allem für das Fernsehen produziert. Warum wollten Sie gerade diesen Film jetzt ins Kino bringen?
Wir dachten daran, dass dies jetzt mit die letzten Zeugen sind, die ihre Geschichten erzählen können. Geschichten, die ganz viel auch darüber berichten, dass Hilfe möglich war damals und dass nicht alle Deutschen weggesehen haben, sondern dass es viele einfache Menschen gab, die ein großes Herz hatten in finsteren Zeiten und diesen jungen Unsichtbaren geholfen haben, ihnen Schlafstätten und Essen gaben. Diese mit glücklichem Ausgang versehenen Anne-Frank-Geschichten, die davon erzählten, wie Hilfe und Rettung in Berlin, im Zentrum des Terrorregimes, doch möglich war und damit die Menschlichkeit nicht ausgelöscht wurde – die hatten eine solche Kraft, dass sie vielleicht auch gerade jüngere Menschen, gerade heute, interessieren können.
Die Geschichten sind ja quasi „larger than life“ ...
… und es schwingt sogar eine unerwartete Aktualität mit. Ich bin gerade in den USA und drehe einen Film über Auswanderer. Das von Obama ins Leben gerufene Dekret, dass Kinder illegaler Einwanderer ein Aufenthaltsrecht haben, hat Trump jetzt gestrichen. Was passiert also, wenn Menschen in ihrem eigenen Land ausgestoßen werden und ihnen Bürgerrechte abgesprochen werden? Da gibt es Parallelen, die zeitlos und erschreckend sind.
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