Der Fischer Peter Grimes muss sich einer gerichtlichen Untersuchung stellen: Die Todesumstände seines Lehrjungen sind ungeklärt. Grimes behauptet, wegen eines Sturms vom Kurs abgekommen zu sein, in Folge sei das Kind verdurstet, weil die Wasservorräte ausgingen. Unter großem Protest der Bevölkerung spricht man ihn frei wegen Mangel an Beweisen für eine vorsätzliche Tat. Der Richter rät Grimes, in Zukunft einen erwachsenen Gehilfen einzustellen – ein Ratschlag, den der Fischer ausschlägt, da er auf die billige Arbeitskraft eines Waisenjungen nicht verzichten will. Die Unzufriedenheit über den Ausgang der Untersuchung nähren die Spekulationen im Dorf und das unheilvolle Geschehen nimmt seinen Lauf.
Montagu Slater richtete 1942, auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs, für Britten das Libretto nach John Crabbes Verserzählung „The Borough“ aus dem Jahre 1810 ein, die das ärmliche und harte Leben der Bewohner einer kleinen Gemeinde an der englischen Küste beschreibt. Grimes, der sich bereits in seiner Jugend durch Spielsucht, Alkoholismus und Gewalttätigkeit zum Außenseiter machte, zieht nach dem Tod des Vaters in eine schäbige Hütte am Rande der Gemeinde. Dort lebt er mit wechselnden Lehrjungen zusammen, die er aus dem Waisenhaus kauft und die alle drei unter ungeklärten Umständen nacheinander zu Tode kommen. Vereinsamt und vom Dorf geächtet stirbt Grimes in geistiger Umnachtung.
Britten komponiert die Oper von Anfang 1944 bis Februar ´45. Er gestaltet die Hauptfigur zu einem empfindsamen und differenziertem Charakter aus, sicherlich inspiriert durch den Tenor, für den er die Hauptrolle schrieb, seinen Lebensgefährten Peter Pears, dessen Stimme sich durch lyrische Intensität und Beweglichkeit auszeichnete. Grimes kämpft um Anerkennung und erreicht dadurch das Gegenteil: Ablehnung und Vereinsamung – die Entwicklung dieses tragischen Konflikts steht im Mittelpunkt der Oper. Grimes‘ Sehnsucht nach innerem Frieden und die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft mit Ellen Orford, erfüllt sich nicht. Die Beziehung scheitert an seinem erbarmungslosen Ehrgeiz, er stößt Ellen von sich und überfordert seinen neuen Lehrjungen, der zu Tode stürzt.
Grimes Distanziertheit gegenüber Ellen und die Brutalität gegenüber den Jungen ist immer wieder als unterdrückte Homosexualität gedeutet worden: In der Gewalttätigkeit gegenüber den Jungen bekämpft Grimes (vergeblich) seine geächtete Neigung und die Schuldgefühle. Am Ende gibt es kein Entkommen für Grimes: Im Gegensatz zu Crabbes Erzählung erhebt sich der Volkszorn gegen ihn und gerade die moralisch zwiespältigsten Biedermänner und -frauen rufen zur Hetzjagd auf.
Brittens Musik ist freitonal und verbindet gegensätzliche und verwandte Tonarten, um das harmonische Spektrum zu erweitern und expressionistisch zu steigern. Die sechs großen symphonischen „Sea-Interludes“ schaffen als Stimmungs- und Seelenbilder einenÜbergang von Szene zu Szene und sind zugleich Ausdruck der dramatischen Entwicklung und theatralischen Situation: die Morgendämmerung an der Küste, die aufziehende Sturmflut, die spiegelglatte See am Sonntagmorgen, Grimes‘ impulsiver Charakter, die Mondnacht, Grimes‘ wahnhafte Verzweiflung. Am Ende bricht ein neuer Tag an, die Dorfbewohner schauen teilnahmslos auf das trübe Meer, in dem Grimes‘ Boot untergeht.
Wo zu sehen in NRW?
Opernhaus Düsseldorf | R: Immo Karaman | 29.6., 5.7., 10.7. 19.30 Uhr | 0211 892 52 11
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