Dmitri Schostakowitschs 1934 mit großem Erfolg uraufgeführte „Lady Macbeth von Mzensk“, zwei Jahre später als „Chaos statt Musik“ verurteilt und von Stalin höchstpersönlich verdammt, gehört heute zum Repertoire aller großen Opernbühnen. Zum 50. Todestag des Komponisten kommt das Werk an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf auf die Bühne. Am Pult steht der aus Weißrussland stammende Chefdirigent Vitali Alekseenok. Regie führt Elisabeth Stöppler, die 2022 in Düsseldorf erfolgreich Tschaikowskys „Jungfrau von Orléans“ inszenierte. Im Interview spricht sie über Schostakowitschs Oper, in der das Ausbrechen einer Frau aus einer brutalen Gesellschaft zur Katastrophe führt.
trailer: Frau Stöppler, am Anfang von „Lady Macbeth von Mzensk“ steht die Langeweile, wie wir sie aus der russischen Literatur von Tschechow bis Gorki kennen …
... und aus der Oper, etwa das eintönige Dasein der Frauen in Tschaikowskys „Eugen Onegin“, der momentan auch an der Deutschen Oper am Rhein gezeigt wird. In „Lady Macbeth“ geht es wie in Tschaikowskys „Johanna von Orléans“ um eine Frau in einer von Männern dominierten Welt. Aber Katerina macht sich nicht auf wie Johanna und zieht in den Kampf. Sie ist eine Frau, die förmlich im Leid implodiert. Sie führt ein eingefahrenes Leben in einer dumpfen, von Gewalt geprägten Welt voll Desinteresse und sozialer Kälte, beherrscht von ihrem dominanten Schwiegervater und ihrem verzweifelt um sich schlagenden Ehemann. Aus dieser Mischung von Langeweile und dem Druck, der Familie einen Erben zu gebären, entsteht ihre Trauer über ein nicht gelebtes Leben, ihr Verlangen nach Veränderung, ihr Wille zum Ausbruch.
Diese Langeweile ist nicht nostalgisch. Keine Attitüde, sondern ein existenzieller Zustand.
Am Anfang der Oper spüren wir: Es braut sich etwas zusammen. Bei Tschechow etwa langweilen sich die Privilegierten, rutschen ab in eine Situation, die sie als unterkomplex empfinden. In der „Lady Macbeth“ geht es weniger um einen gesellschaftlichen Konflikt, sondern da staut sich in dieser Familie Ismailow durch häusliche Gewalt und patriarchale Dominanz eine ungeheure Aggressivität an. Das betrifft nicht nur Katerina. Auch Katerinas Ehemann Zinowij wird nicht geliebt und anerkannt; auch er ist ein Opfer dieser Gewaltsituation, die sein Vater schafft. Die Ruhe ist geladen, sie ist eine Ruhe vor dem Sturm.
Auf diese Situation trifft der neue Arbeiter Sergej.
Sergej kommt als Katalysator in diese Konstellation und bringt Katerina in Bewegung. Er hat ein klares Ziel: Er will es nach oben schaffen, reich werden. Sergej erobert Katerina zunächst aus purem Eigennutz. Für sie ist er Anlass auszubrechen und ihre Lage zu ändern – und so rutschen beide zusammen hinein in die Katastrophe.
Schostakowitsch bezieht sich in seinem Titel explizit auf die Lady aus William Shakespeares „Macbeth“. Wo sehen Sie Parallelen?
Die Parallelen sind nicht offensichtlich. Im Gegensatz zur Lady in „Macbeth“ ist Katerina ratlos, weiß nicht, was tun. Sie ist anders als bei Shakespeare keine starke Partnerin ihres Gatten, wird aus Notwehr, nicht aus Machtlust zur Mörderin. Sie wird vielmehr in die Ecke gedrängt, aus der sie ausbricht, weil sie keine andere Chance hat.
Schostakowitschs Musik ist unverblümt roh und gewalttätig, vor allem in der berüchtigten Vergewaltigungsszene.
Es gibt drei explizite Gewaltdarstellungen in der Oper: Die Vergewaltigung der Magd, die Auspeitschung von Sergej durch den Patriarchen Boris Ismailow und die Prügel seines Sohnes Zinowij an seiner Ehefrau Katerina. Auf der Bühne sind solche Szenen nicht einfach darzustellen; Gewalt lässt sich in anderen Medien direkter zeigen; außerdem finde ich es subtiler und schmerzhafter, wenn man sie auf der Bühne andeutet und übersetzt. Die Gewalt ist die einzige Handlungsoption, die Katerina kennt in diesem System, für das Boris Ismailow steht. Er und sein Sohn Zinowij können gar nicht anders, als gewalttätig zu handeln – denn auch schon Boris‘ Vater hat seinen Sohn verprügelt. Diese Gewalt setzt sich über Täter wie Opfer gleichermaßen fort; auch die Männer sind ihre Opfer. Auch Katerina wird zur Mörderin und setzt damit den Kreislauf fort. Und das Rad dreht sich weiter in Sergejs brutalisierter Sexualität und in der Demütigung im letzten Bild, wenn er Katerina übel beschimpft und betrügt.
Kein Ausweg also.
So sieht es aus: Laut Libretto bringt Katerina am Ende Sergejs neue Geliebte um und stürzt sich selbst von der Brücke. Wir befragen in unserer Inszenierung diesen Schluss und bezweifeln, ob die Selbsttötung wirklich immer das Ende der Opernheldinnen des 19. Jahrhundert und 20. Jahrhunderts bedeuten muss. Dmitri Schostakowitsch hegt eindeutige Sympathie mit seiner Figur Katerina, mit ihrem sehnsüchtigen Begehren nach Zärtlichkeit, nach so etwas wie einer friedvollen Nähe, das Sergej letztlich brutal reduziert auf sexuelle Befriedigung. Gerade deshalb könnte man sich fragen: Gibt es nicht noch einen anderen Weg heraus aus der totalen Verzweiflung? Gäbe es für die bereits zweifache Mörderin Katerina am Schluss nicht doch eine Chance jenseits der Gewalt? Wir fragen uns täglich und auch in dieser Inszenierung: Kann es gelingen, das Rad anzuhalten und den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen? Muss nicht gezeigt werden, dass die Möglichkeit besteht, die Hand zu reichen, anstatt immer weiter zuzuschlagen?
Lady Macbeth von Mzensk | 22. (P.), 26.2., 8., 18., 30.3., 18.3., 3.5. | Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf | 0211 89 25 211
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