Die Traumfabrik Kino, Illusion und Vision zugleich, ist der Fluchtort für Senta in Vasiliy Barkhatovs neuer Inszenierung von Wagners „Fliegenden Holländer“ an der Deutschen Oper am Rhein. In einem provinziellen Lichtspieltheater besucht ein Mädchen einen Film über den ruhelosen Seefahrer und ist von da an fasziniert. Immer wieder will sie Segelschiffe und Wellenberge erleben, auch wenn sich der Vater davonstiehlt und Tante Mary sich mit einem fremden Mann im leeren Kino vergnügt.
Das Kino als Ort unerfüllter Lebensträume hat bereits Kay Metzger als Setting seiner „Holländer“-Inszenierung gewählt, die zuletzt in Meiningen zu sehen war. Barkhatov spitzt das Geschehen noch zu: Bei Kuntze ist der Holländer ein Mann, der sich ehrlich um die junge Frau Senta bemüht, aber erkennen muss, dass er für den Teenager lediglich Ersatzfigur für das projizierte Idol bleibt. Bei Barkhatov ist er der Gestalt gewordene Protagonist des Films, der zwischen den Karussellpferdchen eines Jahrmarkts erscheint. Doch im Finale, als er sich selbst erklärt („Befragt die Meere aller Zonen …“), nimmt er den gewaltigen Pelzmantel und grauen Bart ab. Zum Vorschein kommt ein ganz normaler Mann, der sich plaudernd unter die Menge mischt. Alles inszenierter Betrug – für Senta eine erschütternde Katastrophe, auf die sie psychologisch folgerichtig reagiert.
Erlösung ist Illusion: Diese „Holländer“-Lesart ist spätestens seit Harry Kupfers Inszenierung in Bayreuth 1978 zum common sense geworden. Barkhatov radikalisiert sie zur Verschwörung einer Gesellschaft, die in der Wimmelbühne Zinovy Margolins und den Plüsch-Wikingerhelmen von Kostümbildnerin Olga Shaishmelashvili nur noch dem Oberflächenreiz von Dönerbuden und Fußball-Übertragung huldigt. Senta sieht in Erik – der ein Wachmann oder ein Pizzabote sein könnte – selbstverständlich keine Alternative. Musikalisch sorgt Patrick Lange am Pult der Duisburger Philharmoniker für einen feingliedrigen, glimmenden Wagner. Unter den Sängern ragt der standfeste Daland von Hans-Peter König heraus. Als Steuermann glänzt David Fischer. Der „Holländer“ Jordan Shanahan muss mit Power die Klippen seiner Partie umschiffen, während sich die Meininger Senta, Lena Kutzner, von der Seite mit Verve, aber auch gewinnender Lyrik für den „bleichen Mann“ einsetzt.
Der fliegende Holländer | 30.10., 13.11. jeweils 18.30 Uhr | Theater Duisburg | 0203 28 36 21 00
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