Mit dem Eintritt in den halbdunklen Raum des Theater im Ballsaal beschleicht einen das Gefühl, Protagonist eines Gemäldes von René Magritte zu sein. Alle Anwesenden tragen über ihrer Alltagskleidung diese eigenartigen Stoffmasken, die an den Seiten wie Katzenohren abstehen. Man geht im Raum umher, beäugt sich, ohne dass man jemanden identifizieren könnte. Die Anonymität ist perfekt, alle sind Gleiche unter Gleichen, ganz neue Möglichkeiten eröffnen sich. Mit der Maske gewinnen wir Spielraum. Jeder ist sichtbar, aber niemand ist erkennbar. Was hier geschieht, stellt genau das Gegenteil jener zu Markte getragenen Privatheit dar, die Facebook betreibt. Dort, wo das Private das Öffentliche auflöst, entsteht eine Klaustrophobie, weil es keine Rückzugsmöglichkeiten mehr gibt. Aber genau die sind notwendig, um Räume für das Denken und die Inspiration zu schaffen.
Nicht erst hinter der Maske wird man zum Voyeur, das sind wir auch ohne Maske, aber hier wird einem der Voyeurismus schlagartig bewusst. Es ist schon sehr klug, was sich Rafaele Giovanola und Rainald Endraß für ihre neue Produktion ausgedacht haben. Niemand kann die sechs Akteure des Ensembles von CocoonDance identifizieren, bis sich einzelne Körper zu bewegen beginnen. Bald ziehen sie die Masken ab, während die Menge verhüllt bleibt. Mit dem Titel „Ghost Trio B – corps multiples“ gibt das Ensemble (Fa-Hsuan Chen, Martina De Dominicis, Álvaro Esteban, Daniel Morales, Werner Nigg und Susanne Schneider) die Richtung für die Choreografie vor, in der leidenschaftlich getanzt wird, obwohl man die Berührung weitgehend vermeidet. Publikum und Tänzer befinden sich auf der gleichen Fläche und doch hasten die Künstler so körperlos zwischen den Zuschauern umher, als würden sie durch einen Schwarm Fische gleiten.
Berührung wird angedeutet, so als bestünde sie hier nur noch aus der Erinnerung. So sind Geister denn auch Gestalten ohne Körper, Erinnerungen, die uns geblieben sind, die weiterleben, aber ihre Materialität verloren haben. Darüber wird die Geste zum Werkzeug der Erzählung, und wovon sie kündet, das ist jenes Wunder, das uns fassungslos macht, wenn wir sehen, wie männliche und weibliche Körper im Tanz doch füreinander gemacht scheinen. Was im ungefähren Halbdunkel begann, bald eine freundliche Atmosphäre des Unheimlichen annahm, gewinnt seinen Höhepunkt in Bonn mit der pulsierenden Klangkomposition von Franco Mento. Zuschauer und Tänzer verschmelzen für einen Moment, so dass der begeisterte Applaus für alle wie eine Erlösung wirkt. Nach dem Spiel mit den Spiegeln des „Orfeo“ vollziehen die Cocoons nun mit dem Griff zur Maske den nächsten Schritt zu einem Erlebnis der Nähe, das uns zeigt, wie sich Erinnerung in den Körper einschreibt und sie wieder auf eine Weise frei gibt, die kein Wort zu ersetzen vermag.
„Ghost Trio B – corps multiples“ | Ch: Rafaële Giovanola | 7., 8., 9.6. 20 Uhr | Theater im Ballsaal, Bonn | 0228 79 79 01
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