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Kriegerische Keulen und Karotten
Foto: rogistok / Adobe Stock

Erschreckende Eruption der Egos und Emotionen

05. April 2020

Meinungen mit Fäusten vertreten, nicht mit Argumenten

Die Kreuzung, auf der ich stehe, ist zur Todesfalle geworden. In vier Himmelsrichtungen strahlen die hochhausgesäumten Straßen hinaus. Genau auf dem Schnittpunkt der Wege drehe ich mich jetzt im Kreis und sehe dennoch keinen Ausweg. Im Nordosten krawallt eine Kohorte kampfbereiter Kommunisten, angeführt von einem Känguru mit quälend quäkigem Stimmkolorit. Ich komme mir vor wie im falschen Film. Von gegenüber, aus Südwesten, wedeln Waffennarren mit ihren Winchester-Gewehren. „Sei wachsam, nicht willfährig“, so werben sie. Sie wollen weniger staatliche Regulierung, glaube ich, wenn ich richtig durch die albernen Alliterationen blicke. Im Südosten hören sie aber nicht auf: Eine Agglomeration aus Atheisten, Aggression in den Augen, Angriffslust in den Armen. Und Nudelsieben auf den Köpfen. Amen. Aus der vierten Richtung schließlich poltern Pegidisten platte Parolen. Sollten das die harmlosesten von allen sein? Nein, sie prügeln und prengeln unter Polizeischutz auf Passanten ein. So rollen die Fronten aufeinander zu und für mich gibt es kein Entrinnen. Selbst auf dem härtesten Hardcore-Konzert war eine Wall of Death noch nie so tödlich wie dieser Kampf der Ideologien. Entweder ich schließe mich einer Seite an oder ich werde untergehen.

„Hej, du da! Schnell!“ Ganz in meiner Nähe hat sich eine Tür geöffnet, ein Stück in die Straße rein, in der mit Waffengewalt demonstriert wird, dass Waffen nicht zu mehr Gewalt führen. Auf der Schwelle steht eine junge Frau mit Dreadlocks und bedeutet mir mit Worten und Gesten, zu ihr zu kommen. Eilig setze ich mich in Richtung Rettung in Bewegung, da höre ich dieselben Worte auf der anderen Straßenseite. Mich im Lauf umblickend sehe ich, dass dort auch auf einmal ein Eingang offensteht, diesmal hat ein grobschlächtiger Mann eine LKW-Einfahrt aufgedrückt.

War der unvermeidliche Tod bis gerade die einzige Option, wenn ich mich nicht von einem Lager vereinnahmen lassen wollte, ist er jetzt nur eine von dreien. Mein Vertrauen in die Menschheit wächst, meine Schritte Richtung erlösender Hippiebraut werden schneller. Da wirft mir ebenjene einen großen Würfel gräulichen Glibberwobbels in die Hände und ruft: „Nimm diesen Tofublock und stopf sie dem Arschloch von Fleischlobbyist“ – sie deutet auf meine alternative Rettung – „ins Maul, bis er erstickt. Dann darfst du weiterleben und mit uns kämpfen.“ Ich drehe mich um nach dem „Arschloch“ und sehe, wie er eine Schubkarre voll Mett in die Einfahrt zieht und dabei abwechselnd auf die Dreadlockfrau, den unglaublichen Haufen rohen Schweinepürees und seinen Rachen deutet, wobei er würgende Geräusche von sich gibt. Er scheint also einen ähnlichen Plan zu verfolgen wie die Veganerfraktion. „Aber … könnt ihr mich nicht einfach reinlassen?“, frage ich in beide Richtungen. Und ich will noch hinzufügen: „Ich will doch nur nicht in diesem Krieg der Meinungen zerfetzt werden!“ Aber da stehe ich schon in einem Kreuzfeuer aus Falafel- und Hackbällchenprojektilen. Es scheint, als käme ich nicht drum rum: Ich muss mich für eine Seite entscheiden. Oder eher noch: gegen eine. Mindestens. Noch kann ich mich mit dem Tofublock gegen die unangenehm matschigen Treffer schützen, doch als die ersten Messer fliegen, trete ich den Rückzug in die Mitte der Kreuzung.

Die vier Armeen sind nur noch wenige Meter von den Zebrastreifen entfernt. In ihrem Wüten schenken sie sich nichts. In allen vier Straßen hinterlassen sie eine Schneise der Zerstörung, müssen aber in dem Häuserkampf gegen Plastikgegner-Partisanen, Dieselfreunde-Delta-Force, Reinheitsgebot-Rebellen und andere Gruppierungen herbe Verluste einstecken. Zu meiner Linken fliegen Molotowcocktails der Anonymen Abstinenzler in die Menschenmenge. Die Kommunisten kontern knallhart mit Kalaschnikows. Kurz scheint eine Allianz mit dem NRA-Ableger möglich, doch die ist zu sehr damit beschäftigt, das Homöopathen-Haus mit ihren Globuli aus Blei zu versorgen.

Aus der Kanalisation dringen Stimmen. „Seid ihr bereit? Jetzt gibt es kein zurück. Denkt dran: Alles für den Dackel! Alles für den Club! Unser Leben für den Hund!“ Es gibt eine unterirdische Explosion und mit gewaltiger Wucht fliegt der Gullideckel in den Himmel. Dort trifft er, als sei es so beabsichtigt gewesen, den Helikopter der Elternpflegschaft. Der fängt Feuer, gerät ins Trudeln – und wird von einem grünen Eurofighter Typhoon endgültig vom Himmel geholt. Dem auf den Fersen ist ein schwarzer F-16-Kampfflieger. Außerdem sehe ich, wie eine blaue Messerschmitt mit provokanten Manövern unkontrolliert in die Gegend schießt. Und dann ist da noch ein kleines rotes Segelflugzeug.

Das war’s, ich bin tot, denke ich. Über mir unter mir, südwestlich, nordöstlich, südöstlich und nordwestlich sowie in jedem Haus um mich herum herrscht Gemetzel. Eine erschreckende Eruption der Egos und Emotionen. Doch dann … für einen Moment ist es still. Alle Augen und Sensoren, und zu meiner noch größeren Beunruhigung auch alle Gewehrläufe und Pfeilspitzen sind auf mich gerichtet. Wie werde ich mich entscheiden? Sie warten nicht mehr lang, sie wollen wissen, für welche Meinung ich gegen alle anderen Meinungen kämpfen werde. Sterben werde ich sowieso. Die Frage ist nur, mit welcher Überzeugung. Ich hole tief Luft. „Können wir nicht miteinander red…“


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