trailer: Herr Frewer, Ruhr International ist der Nachfolger von „Kemnade International“. Warum zieht das Festival von der Wasserburg Kemnade in die Bochumer Jahrhunderthalle?
Bertram Frewer: Die Wasserburg kam nicht mehr infrage, weil die Burg den Sicherheitsauflagen nicht mehr genügt. Ich nenne ein Beispiel: Wir müssen Fluchtwege von mindestens einen Meter zwanzig Breite bereithalten. Das war in der Burg nicht gegeben. In der Jahrhunderthalle, die darüber hinaus auch Festspielhaus der Ruhrtriennale ist, haben wir fantastische Produktionsbedingungen. Früher haben in der Halle sehr viele Menschen gearbeitet, die als Gastarbeiter ins Ruhrgebiet gekommen sind. Heute dient sie als Festspielhaus. Das hat Charme.
Haben Sie außer dem Ortswechsel etwas vollkommen Neues für das Festival geplant?
Allein der Ortswechsel bringt Veränderungen und somit auch Neuerungen mit sich. Die Bochumer Jahrhunderthalle bietet die wunderbare Möglichkeit, auch Indoorveranstaltungen im Rahmen dieses Festivals umzusetzen. Das ist ein großer Vorteil. Wenn das Wetter früher regnerisch war, war es schwierig, Besucher an die Wasserburg zu locken. Im Zentrum der Stadt und mit der Möglichkeit, ein Indoor- und Outdoorprogramm anzubieten, sind wir besser aufgestellt. Im Dampfgebläsehaus finden auch Kindertheater, Comedy und Lesungen statt.
Das Festival wurde 1974 erstmalig als „Experiment zur Verständigung zwischen Ausländern und Deutschen“ ins Leben gerufen. Welchen Anspruch hatte dieses Festival?
Das Festival ist erstmals 1974 gestartet. Zu dieser Zeit sind sehr viele Menschen unterschiedlicher Nationalität als Gastarbeiter ins Ruhrgebiet gezogen. Der ursprüngliche Gedanke war, den Menschen ein Kulturforum zu bieten und das den deutschen Mitbürgern zu präsentieren. Auf den Bühnen wurde ihre Musik gespielt, die Besucher sollten ihre Bräuche, ihren Lebensstil und ihr Essen kennenlernen. Damals war dieses Festival ziemlich einzigartig. Inzwischen ist die internationale Küche fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Kemnade International hatte damals einen sehr politischen Anspruch. Denken Sie an den Militärputsch in Griechenland, die Gewaltherrschaften in Lateinamerika oder die Thematik „Türken und Kurden“. All diese Themen wurden auf dem Festival friedlich miteinander diskutiert. Das war das Besondere an dieser Veranstaltung.
Existiert denn der politische Ansatz noch heute, oder ist die Veranstaltung jetzt mehr ein Kulturfestival?
Aufgrund der positiven politischen Entwicklung in den Herkunftsländern ist das Festival mehr und mehr zu einer Kulturveranstaltung gereift. Zuwanderung ist noch heute ein wichtiges Thema. Insofern ist dieses Festival ein hervorragender Ort, um den aktuellen gesellschaftspolitischen Anspruch zu thematisieren und sich dem Ganzen mit kulturellen Mitteln zu nähern. Kunst und Kultur sind ein guter Motor.
Brauchen wir heute überhaupt noch ein Festival zur Kulturverständigung?
Das Thema Integration und Interkultur wird auf den unterschiedlichen Ebenen intellektuell, wissenschaftlich und politisch bedient. Als Veranstalter bilden wir die gesellschaftliche Realität ab. Allein im Ruhrgebiet haben rund 25 Prozent der Menschen eine Zuwanderungsgeschichte. Im Grundschulalter ist es jedes dritte Kind, demnächst wird es jedes zweite sein. Wir müssen diese Entwicklung im Blick haben. An dieser Stelle müssen wir aufpassen, dass wir nicht ein Sparten- oder Minderheitenfestival etablieren. Um dem entgegenzuwirken, spielen auch viele populäre Acts auf dem Festival.
Was verstehen Sie unter einem Sparten- oder Minderheitenfestival?
Früher war im Bewusstsein vieler Menschen verankert, dass es ein Festival von Migranten für Migranten sei. Das ist es natürlich nicht. Sicherlich ist es ein Festival mit stark internationalem Anspruch, egal ob es internationale Künstler sind oder sie selbst eine Zuwanderungsgeschichte haben.
Ruhr International ist kostenlos, nur das abschließende Livekonzert ist kostenpflichtig. Wie schwer ist es in dieser Zeit, Sponsoren für ein Kulturfestival zu finden?
Es ist momentan insgesamt schwierig, Sponsoren zu finden, weil die ökonomische Lage angespannt ist. Wichtiger ist es natürlich, eine Grundfinanzierung aus öffentlichen Mitteln über den Kulturetat bereitzustellen. Bochum setzt da ein Zeichen. Die Duisburger Traumzeit ist gerade abgesagt worden, ein Festival mit einem ähnlichen Ansatz.
Rund ein Viertel der Bevölkerung im Ruhrgebiet hat heute einen Migrationshintergrund. Inwiefern macht sich das im Kulturbetrieb bemerkbar?
Heute denkt man vermehrt über kulturelle Teilhabe nach. In der nationalen Kulturarbeit ist es üblich, dass Kuratoren auch international besetzt sind. In örtlicher und regionaler Kulturarbeit ist das noch nicht ganz angekommen, weil bestehende Strukturen nicht einfach aufgebrochen werden können. Es gibt aber entsprechende Ansätze, um das künftig zu ändern. Kulturfestivals, mit denen man eine breite Öffentlichkeit erreicht, sind ein wichtiges Element der Kulturförderung.
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