Düsseldorf: Aus dem Kinder- und Jugendtheater sind sie offenbar nicht mehr wegzudenken: Kaum eine Produktion, in der nicht irgendwann ein paar Jungs (seltener: Mädels) in Baggy Pants und mit umgedrehten Baseballcaps um die Ecke kommen und wahlweise eine Rap- oder Breakdance-Einlage bieten. Offenbar denken die erwachsenen Theatermacher: Das kommt gut an bei den Kiddies. Spätestens bei den Rappern hören vielleicht auch all jene mal zu, die Theater ganz grundsätzlich voll uncool finden. Man mag über diese hilflose Anbiederei ans junge Publikum manches Mal hinwegsehen können. Bei James Reynolds, einem in Berlin lebenden US-Komponisten, der seine Musik überwiegend fürs Theater, Fernsehen und Hörspiele schreibt, und seiner Kinderoper „Geisterritter“ kann man das definitiv nicht mehr. Reynolds lässt seine Rapper im Finale des Stücks allen Ernstes verkünden, sie stünden für die echte Musik der Jugend – also Hip-Hop. Oper ist dann doch eher blöd, muss man daraus schließen.
Vielleicht lag es auch an dieser verblüffenden Quintessenz, dass das Oldenburger Staatstheater die geplante Uraufführung des „Geisterritters“ 2011 kurzfristig vom Spielplan strich. Offiziell hieß es, das Stück sei für Kinder nicht tragbar. In NRW waren die Intendanten weniger pingelig. Als Koproduktion wurde das Stück in eine über viele Jahre angelegte Reihe von Kinderopern für die große Bühne aufgenommen und Ende 2017 in Bonn uraufgeführt. In diesem Sommer kam es nun zur Rheinoper nach Duisburg (ab September wird es in Düsseldorf gespielt) und wird im kommenden Jahr auch in Dortmund zu sehen sein.
Zugkräftig ist das Stück schon allein wegen der literarischen Vorlage: Der Geisterritter entspringt einem gleichnamigen Roman der aus Dorsten stammenden Erfolgsautorin Cornelia Funke. Es ist, wie selbst Funke-Fans einräumen, nicht ihr stärkstes Buch, beliebt ist es dennoch. Librettist Christoph Klimke hat es auf die Grundzüge der Handlung zurechtgestutzt: Der pubertierende Jon Whitcroft wird von seiner Mutter und ihrem neuen Mann, der Jon nicht leiden kann, auf ein altehrwürdiges englisches Internat abgeschoben. Dort gerät er wegen einer uralten Familienfehde ins Visier böser Gespenster, die ihn töten wollen. Dann aber erweckt Jon den Geisterritter William Longspee, der ihm zur Hilfe eilt. Zur Seite steht dem Jungen auch die gleichaltrige Ella, in die er sich verliebt.
Dem Librettisten sind die bösen, angeblich kinderfressenden Gespenster eine Spur zu albern geraten, vielleicht aus Sorge, das junge Publikum zu sehr zu ängstigen. Wie auch immer: Das Duisburger Produktionsteam um Regisseur Erik Petersen und Kapellmeister Patrick Francis Chestnut hat sich mächtig ins Zeug gelegt, um eine dichte, wirkungsvolle Gruselatmosphäre zu schaffen. Die Bühnenbildner und Videokünstler der Gruppe fettFilm sowie Kostümbildner Kristopher Kempf tun ihr Übriges, um auch visuell verwöhnte Kinder zu beeindrucken. Die Kathedrale und die Erweckung des steinernen Geisterritters darin sind wirklich gut gelungen.
In Richtung illustrierende Filmmusik geht indes die Partitur von James Reynolds. Sie schafft Atmosphäre, die „gespenstischen“ Effekte kommen auf den Punkt, und die Gesangspartien sind auch noch gut verdaulich. Das funktioniert musikalisch durchaus, zumal Kapellmeister Chestnut die Musik vermutlich ernster nimmt als dessen Schöpfer.
Die Hauptdarsteller der B-Besetzung überzeugen zuvorderst dadurch, dass sie ihr – für pubertierende Jugendliche eigentlich unpassendes – Alter schnell vergessen machen. Anke Krabbe (alternierend: Monika Rydz) als Ella und Cornel Frey (alternierend: David Fischer) als Jon sind brillante Darsteller, die sogar stimmlich erstaunlich viel Jugendlichkeit verströmen. Die Produktion ist mit Herzblut gemacht und hervorragend umgesetzt. Bloß: Ob dieser Geisterritter die Kinder tatsächlich zu Opernfans macht, darf stark bezweifelt werden.
„Der Geisterritter“ | 20.9., 11 Uhr | Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf | 0211 892 52 11
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