Deutscher Hip-Hop hat noch immer ein schwerwiegendes Darstellungsproblem. Auch mehr als dreißig Jahre nach seinem Erscheinen, ist die Diskussion über das Genre sehr limitiert. Seit Abebben der ersten großen Mainstream-Welle um das Jahr 2002, liegt der große mediale Fokus, wenn einmal über Hip-Hop diskutiert wird, nur auf dem, was man Gangsta-Rap nennt.
Da wird dann einerseits immer wieder die Frage gestellt, ob Epigonen wie Bushido oder Haftbefehl zur Gewalt ermuntern würden – ganz so, wie man es auch von der Diskussion über Computerspiele kennt. Auf der anderen Seite gefällt sich das Feuilleton seit ein paar Jahren darin, das Genre des Gangsta-Rap pop-theoretisch salonfähig zu machen.
Wie weit es diesbezüglich aber her ist mit Qualität, Stil und Intellekt, wird klar, vergleicht man die zuletzt gefeierte Platte von Haftbefehl mit dem tatsächlich grandiosen „To Pimp a Butterfly“ von Kendrick Lamar. Während letztere vor Kunst und Zwischenton-Artistik nur so strotzt, bleibt die andere nichts als eine pervertierte Feier von Hedonismus, Materialismus und Gewalt.
Mit großem Interesse sollten wir daher das Debüt-Album („Räuberleiter“) des Dortmunder Rappers Gold Roger erwarten. Der Longplayer erscheint am 6. Juni auf dem Kölner Label Melting Pot Music, das auch Rapper wie den Bochumer Aphroe unter Vertrag hat. Wer in den letzten Jahren Hip-Hop mit Krawall und Aufschneiderei gleichsetzte, dürfte sich von dem Sounds Gold Rogers überrascht fühlen.
Hört man bei YouTube in die bereits veröffentlichten Songs des Musikers rein, kommt es einer Zeitreise gleich. Lyrics wie Beats erinnern in bester Art und Weise an einen Stil, der direkt aus den 90ern stammen könnte. Wie das geht, aktuellen Hip-Hop so klingen zu lassen, als wäre er von Funkdoobiest produziert, demonstrieren zwar schon länger die Kölner Musiker Retrogott und Hulk Hodn – aber auch bei Gold Roger überzeugt der Stil.
Die meist zurückgenommenen und von Samplen getragenen Stücke verbinden sich mit einem spannenden Vocal-Mixing – auch hier klingt es angenehm retro. Schon auf früheren Songs des Künstlers konnte man das ahnen. So erinnert der bereits im vergangenen Jahr veröffentlichte Track „Aus dem Leben eines Taugenichts“ sowohl inhaltlich als auch stilistisch an einen der schönsten deutschen Hip-Hop-Tracks überhaupt: „Nichtsnutz“ von den Massiven Tönen von 1996.
Dieser Sound dominiert nun auch auf Gold Rogers Album „Räuberleiter“ – beste Beispiele dafür sind die Tracks „Powerrangerblues“, „Huglife“ oder „Se Botschaft“. Die Beats stammen größtenteils aus dem eigenen Label-Stall, das heißt von Produzenten wie Suff Daddy und Dramadigs.
Bräuchte das Ganze einen Stempel, fiele Gold Roger wohl unter die Marke Conscious Rap: Die Themen sind ernst, oft politisch und nicht selten bewusst nostalgisch verklärt. In „Huglife“ heißt es: „Also versalz mir nicht die Suppe / Nein, komm vorbei zum Essen. / Wir belegen uns Thesen, teilen Interessen.“ So in etwa können wir die Platte wohl insgesamt verstehen, als eine charmante Einladung zu einem interessanten Kennenlernen.
CD Gold Roger: „Räuberleiter“ | Melting Pot Music
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Man in Black 2
Buch zu Nick-Cave-Ausstellung in Kopenhagen – Unterhaltungsmusik 03/21
Trotzdem können
Pressure Air Festival zeigt Punk und Indie-Folk in Oberhausen – Popkultur in NRW 11/16
Selbsterfüllende Prophezeiung vom Einheitsbrei
Wie haben 80 Jahre „Hitparade“ die Popmusik geformt? – Popkultur in NRW 02/16
Moderne Mythen
Über krude Weltbilder in der Popmusik – Popkultur in NRW 01/16
Zarte Musikerhände greifen zum Stift
Musiker-Literatur zwischen ernsthaftem Anspruch und schnöder Geldmacherei – Popkultur in NRW 12/15
Ein Punk für alle Bürger
Kassierer-Sänger Wolfgang Wendland legt ambitioniertes Wahlprogramm vor – Popkultur an der Ruhr 05/15
Feier des Minimalismus
Die Grandbrothers erfinden sich ihren eigenen Musikstil – Popkultur an der Ruhr 04/15
Tolerante Szene
An diesem Abend gehen Kölner Jazzbühnen fremd – Improvisierte Musik in NRW 11/24
Nordisches Spitzenprodukt
Rymden am Theater Krefeld – Improvisierte Musik in NRW 10/24
Experimentell und innovativ
3. New Colours Festival in Gelsenkirchen – Improvisierte Musik in NRW 09/24
Immer eine Uraufführung
4. Cologne Jazzweek – Improvisierte Musik in NRW 08/24
Ein Abend für den Duke
Jason Moran und die hr-Bigband in Duisburg – Improvisierte Musik in NRW 07/24
Musikalische Eröffnung der EM
Bundesjazzorchester mit Tom Gaebel in Dortmund und Köln – Improvisierte Musik in NRW 06/24
Verschiedene Welten
Drei Trompeter besuchen das Ruhrgebiet – Improvisierte Musik in NRW 05/24
Besuch von der Insel
„Paul Heller invites Gary Husband“ im Stadtgarten – Improvisierte Musik in NRW 04/24
Pure Lust an der Musik
Das Thomas Quasthoff Quartett im Konzerthaus Dortmund – Improvisierte Musik in NRW 03/24
Kleinstes Orchester der Welt
„Solace“ in der Friedenskirche Ratingen – Improvisierte Musik in NRW 02/24
Mit zwei Krachern ins neue Jahr
Jesse Davis Quartet und European All Stars in Köln – Improvisierte Musik in NRW 01/24
Sturmhaube und Ballonmütze
Gregory Porter in Düsseldorf – Improvisierte Musik in NRW 12/23
Balladen für den Herbst
Caris Hermes Quintett in Düsseldorf – Improvisierte Musik in NRW 11/23
Wonnemonat für Fusionfans
Drei E-Gitarren erobern das Ruhrgebiet – Improvisierte Musik in NRW 10/23
Funk und Soul mit fetten Sounds
„Tribute To Curtis Mayfield“ in der Kölner Philharmonie – Improvisierte Musik in NRW 09/23
Die Trommel mal ganz vorne
„Schlagzeugmarathon“ in Essen – Improvisierte Musik in NRW 08/23
Bird with Strings
Karolina Strassmayer in Essen – Improvisierte Musik in NRW 07/23
Tüchtige Kellerkinder
Subway Jazz Orchestra feiert zehnten Geburtstag – Improvisierte Musik in NRW 06/23