Steiler hätte die Vorlage nun wirklich nicht sein können: „[...] das ganze Geld ging tschari, verjuxt, verputzt, verspielt, vertan, wie´s nur ein Luxemburger kann“, singt da der trinkfreudige Graf – und die Regie lässt den so naheliegenden Seitenhieb auf den dieser Tage scheidenden EU-Kommissionspräsidenten einfach aus. Schade!
Stattdessen bleibt es bei einem beiläufigen Witz über die internationalen Banken und den Brexit, als der Graf sein Honorar für seine Scheinehe kassiert, die letztlich so gründlich anders verlaufen soll als geplant. Das war es dann aber auch schon an Aktualität, die Regisseur Roland Hüve Franz Lehárs Erfolgsoperette „Der Graf von Luxemburg“ angedeihen lässt. Vielleicht hatte er Sorge, dass zu viel Bissigkeit das Operettenpublikum vergrätzen könnte. Denn ein Publikumsmagnet per se ist der Graf offensichtlich nicht mehr. Zur Premiere blieben im Theater Hagen viele Plätze frei.
Verdient hat das diese Produktion keineswegs, denn mag die Regie doch im Großen und Ganzen im Konventionellen verharren (mit sehr gelungener und wirkungsvoller Ausstattung von Siegfried Mayer), so haben sich Regisseur Hüve und Dirigent Rodrigo Tomillo doch immerhin sehr ins Zeug gelegt, um sowohl der Musik als auch der Handlung deutlich mehr Tempo und Straffung angedeihen zu lassen. Die Dialoge sind gekürzt, die musikalischen Tempi wesentlich schneller – die gewohnte Gemütlichkeit haben Tomillo und Hüve dem Stück gründlich ausgetrieben. Das macht sich auch in der Aufführungsdauer bemerkbar. Das Hagener Ensemble bringt seinen Grafen in zweieinviertel Stunden über die Bühne – inklusive Pause. Das ist mindestens eine halbe Stunde weniger als andernorts.
Dem Orchesterklang tut solch entfesseltes Temperament spürbar gut. Immer wieder erheben sich schön gespielte und gut zur Geltung gebrachte Streicher- und Bläsersoli über den Gesamtklang. Um die Gesamtdynamik nicht allzu stark deckeln zu müssen, sind viele Sänger mit Microports ausgestattet – eine gute und legitime Lösung in diesem akustisch nicht ganz einfachen Theatersaal. So kommen auch schöne, aber nicht allzu große Stimmen wie die der Soubrette Cristina Piccardi als Juliette gut zur Geltung. Mit dem Tenor Richard van Gemert als armem Maler Armand bildet sie das tanzfreudige und durchaus witzige Buffo-Paar. Tatkräftige Unterstützung bekommen sie übrigens von Tänzern des Hagener Balletts (Choreografie: Eric Rentmeister), die sehr gut in die Handlung integriert werden.
Im Mittelpunkt stehen unterdessen Kenneth Mattice als Graf René – ein Bariton in einer Tenorrolle, was allerdings prima funktioniert – und Angela Davis als Angèle, die nicht nur innerhalb der Handlung eine große Sängerin ist, sondern auch in Hagen eindeutig die Stimme des Abends. An dramatischer Tragfähigkeit mangelt es ihr so ganz und gar nicht. Und doch singt sie mit warmem, niemals forciertem Timbre. Eine Traumbesetzung.
Einen Großteil der Komik tragen indes die „Senioren“ unter den Figuren. Da ist zuerst Oliver Weidinger als alter Hagestolz Fürst Basil, der sich für die junge Angèle zum Affen macht und letztlich keine Chance gegen den jungen Playboy-Grafen – da ist Kenneth Mattice als echter Schönling hervorragend besetzt – hat. Er trifft die Tragikomik seiner Figur ganz köstlich auf den Punkt. Einen großen, leider insgesamt eher kurzen Auftritt hat auch Marilyn Bennett als russische Gräfin und alte Flamme Basils. Sie spielt ihre Rolle eher als resolute Grande Dame und nicht ganz so rustikal wie sie oft ausgelegt wird – und sie glänzt darin mit zündendem Humor.
„Der Graf von Luxemburg“ | 4., 14., 18.12. je 19.30 Uhr, 31.12. 15 u. 19.30 Uhr | Theater Hagen | 02331 207 32 18
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