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Ein Genie mit fatalem Verlangen: Lars Eidinger in „Tabu“
Foto: Presse

„Greenaway sah mich in Amsterdam Theater spielen“

30. Mai 2012

Lars Eidinger über „Tabu – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden“, Trakls Drogenkonsum und internationale Theatergastspiele – Roter Teppich 06/12

1976 wurde Lars Eidinger in Berlin geboren. Nach einer Ausbildung an der renommierten Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ hat er sich am Deutschen Theater und der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin den Ruf als einer der besten Schauspieler seiner Generation erworben. Mit dem Berlinale-Erfolg „Alle anderen“ wurde er 2009 auch über die Theaterszene hinaus bekannt. Seitdem hat er in Filmen wie „Hell“ oder „Das Fenster zum Sommer“ mitgewirkt. Für „Tabu“, der jetzt in den Kinos anläuft, schlüpfte er in die Rolle des Dichters Georg Trakl.

trailer: Herr Eidinger, was hat Sie an „Tabu“ eher gereizt – die Annäherung an denschwierigen Charakter Georg Trakls oder die Auseinandersetzung mit dessen literarischem Werk?
Lars Eidinger:
Vieles davon hat sich für mich erst in der Vorbereitung erschlossen, weil ich die meisten seiner Arbeiten gar nicht in dieser Ausführlichkeit kannte. Mir haben seine eigenen Gedichte am Ende viel mehr weitergeholfen als Biografien zu Trakls Person. Die habe ich alle gelesen und auch etliche davon auswendig gelernt. Aus ihnen erfährt man sehr viel von ihm und über seine Weltsicht. Mir war vorher gar nicht klar, was für ein extremer Charakter Trakl war. Man kennt ihn ja ein wenig aus dem Deutschunterricht und durch einige Bilder, auf denen er immer relativ steif aussieht. Er war fast ein Bohemien, der sich in intellektuellen Kreisen aufgehalten hat, die zynisch eingestellt waren und sich als Künstler zelebriert haben. Insofern hat mich die Figur Trakls zu Beginn am meisten gereizt.

Hatten Sie denn im Vorfeld eine Affinität zu Lyrik oder ist die erst bei den Vorbereitungen entstanden?
Bislang eher nicht. Natürlich hat man das in der Schulzeit durchgenommen, aber hier war es für mich das erste Mal, dass ich mich einem einzelnen Autoren so ausführlich gewidmet und seine Arbeiten komplett gelesen habe. Das hatte ich zuvor mit noch keinem anderen Dichter gemacht. Dabei habe ich sehr schnell einen enormen Respekt vor ihm entwickelt und ihn ins Herz geschlossen. Ich finde, dass Trakl einigermaßen verkannt ist und nicht den Stellenwert einnimmt, der ihm eigentlich zusteht. Wenn man sich intensiver mit ihm beschäftigt, merkt man, dass er ein Genie war. Das ist sehr interessant, sich mit jemandem auseinanderzusetzen, dessen Ansichten so extrem waren. Trakls Ideal bestand in der Eingeschlechtlichkeit, er sah den Grund allen Übels in dieser Welt darin, dass die Geschlechter getrennt sind. Dieser utopische Wunsch, sich wieder miteinander zu verbinden, was ja auch der Antrieb ist, miteinander zu schlafen und sich zu vereinigen, wird nie bis in die letzte Konsequenz passieren, dass man miteinander verschmilzt und eins wird. Darin bestand seine Sehnsucht. Mit wem hätte er die besser ausleben können als mit der Schwester, die vom gleichen Blut war und der er auch charakterlich stark ähnelte. Er ist daran zugrunde gegangen, dass das nur eine Utopie ist, über die man zwar gut schreiben kann, an der man aber scheitern muss, wenn man sie bis in die letzte Konsequenz leben will.

Auf Fotos sieht Trakl Ihnen im Film gar nicht so ähnlich. War das eine bewusste Entscheidung, beispielsweise die Haare für die Rolle nicht kürzer zu schneiden?
Der Film ist ja kein Biopic. Und wenn ich so etwas sehe, bin ich immer ganz froh, wenn nicht verzweifelt versucht wird, ein Lookalike zu finden. Es geht vielmehr darum, wer er war, als ihn zu imitieren. Außerdem glaube ich, dass man sich hinsichtlich seines Aussehens täuscht, wenn man die Fotos nimmt, die am verbreitetsten sind. Das sind alles Fotos, die aufgenommen wurden, als er schon beim Wehrdienst war, für den er seine Haare kurz schneiden musste. In einer der Biografien, die ich gelesen habe, steht auch, dass er langes Haar trug, das ihm lang in den Nacken fiel. Dadurch fühlten wir uns darin bestätigt, uns von dem Bild zu entfernen, das wir zuvor von ihm hatten.

Trakl musste in einer Apotheke arbeiten, um Geld zu verdienen, damit er seine Kunst ausüben konnte. Haben Sie zu Beginn Ihrer Karriere ebenfalls Jobs zum Geldverdienen übernommen?
Nein, ich habe schon ganz früh mit Kinderfernsehen angefangen und schon sehr früh mit Schauspielerei mein Geld verdient. Während des Studiums habe ich schon am Deutschen Theater in Berlin gespielt, ich war nie gezwungen, etwas anderes zu machen als das. Wobei ich nun gar nicht weiß, ob das gut oder schlecht ist. Da gibt es keine Parallelen. Ich war allerdings mal in der Apotheke in Salzburg, in der Trakl gearbeitet hat, die gibt es auch heute noch. Die ist nicht mehr in genau demselben Haus, sondern ein Haus weitergezogen, aber die Mitarbeiter kennen noch die Geschichten von Leuten, die damals mit ihm gearbeitet hatten.

Im Film erhält man auch Einblick in die Künstlerzirkel jener Zeit, wo sich Kreative aus den unterschiedlichsten Sparten gegenseitig befruchtet und beeinflusst haben. Gibt es so etwas heute auch noch?
Ich bin diesbezüglich hin- und hergerissen. Auf der einen Seite habe ich ständig mit Künstlern zu tun, durch meinen Job und meinen Freundeskreis, wobei das bei Letzterem weniger Schauspieler als vielmehr Fotografen sind. Ich kenne das aber auch, dass man sich mit Malern oder Künstlern aus anderen Bereichen trifft. Es ist schon richtig, dass man dadurch voneinander profitiert und sich gegenseitig inspiriert, auch wenn die unterschiedlichen Sparten vordergründig gar nicht so viel miteinander zu tun haben. Darüber war ich bei den Vorbereitungen auch überrascht, da ich in Trakl eher einen Eigenbrötler gesehen hatte. In den Biografien erfuhr ich dann, dass er sein Künstlersein schon sehr zelebrierte. Er stellte sich über die Gesellschaft, was auch mit einer gewissen Arroganz verbunden war, weil er eine Art Sonderstatus einnahm, indem er sich mit Menschen zusammensetzte, die ihm intellektuell gewachsen waren.

Und auch der Drogenkonsum war in diesen Kreisen weit verbreitet …
Das spielte eine enorme Rolle, obwohl ich das in dieser Zeit gar nicht verortet hätte. Die waren im Konsum sehr extrem, auch weil sie keinerlei Wissen über die Nebenwirkungen hatten. Das kann man ganz gut mit den 70er Jahren vergleichen, als in dem Bereich auch sehr viel herumexperimentiert wurde. Trakl hat sich so ziemlich alles eingeschmissen, was er finden konnte. Auf der einen Seite hat ihn das wahnsinnig euphorisiert und inspiriert, auf der anderen Seite ging es auch darum, sich zu bedröhnen und zu betäuben. Es gibt auch im Film kaum Momente, in denen er nicht unter Drogeneinfluss steht, entspannt, ruhig und bei sich ist, sondern er ist immer in einem Ausnahmezustand. Das fand ich auch sehr schwierig zu spielen.

Nicht zuletzt geht es in dem Film um das Tabu, dass Trakl seine Schwester auf inzestuöse Weise liebte …
Er fühlt sich so extrem zu seiner Schwester hingezogen, weiß allerdings über das Tabu, das hinsichtlich des Inzests und seiner Konsequenzen immer im Raum steht. Abgesehen davon, dass es natürlich bis heute gesellschaftlich geächtet ist. Darüber hinaus gab es damals noch die Angst, deswegen vielleicht nach dem Tod in der Hölle schmoren zu müssen. Auf der anderen Seite gewann Trakl, ähnlich wie die Romantiker, aus dieser Sehnsucht ein wahnsinniges Potenzial zum Schreiben und Dichten, sie machte ihn kreativ. In dem Moment, in dem sich diese Sehnsucht erfüllt, kann er nicht mehr schreiben. Deswegen beginnt er, seine Schwester auf Distanz zu halten. Darin lag für mich als Schauspieler die größte Schwierigkeit – sich zu jemandem so extrem hingezogen zu fühlen und trotzdem immer in dem Konflikt zu stehen, zwischen der Kunst, dem Schreiben, oder der Frau entscheiden zu müssen.

Ihre Karriere ist 2009 mit „Alle anderen“ explodiert, als Sie mit einem Schlag auch jenseits der Theaterszene bekannt wurden. Zuletzt haben Sie mit Peter Greenaway gedreht. Wie sehen Sie selbst diese Entwicklung, die Ihre Laufbahn in den letzten Jahren genommen hat?
Ich hatte da einfach wahnsinniges Glück. Ich habe sehr lange darauf gewartet, überhaupt drehen zu dürfen, weil wir an der Schaubühne zu Beginn einen Vertrag hatten, der uns sogar verboten hat, für Film oder Fernsehen vor der Kamera zu stehen. Das wurde dann irgendwann gelockert. Aber dann muss man auch das Glück haben, ein gutes Drehbuch geschickt zu bekommen und dann auch beim Casting zu gewinnen. Dieses Glück hatte ich einfach. „Alle anderen“ war der Film einer nicht sonderlich bekannten Regisseurin, die zwar einen tollen Erstlingsfilm gemacht hatte, der aber eher auf Festivals als an der Kinokasse erfolgreich war. Damit direkt zur Berlinale eingeladen zu werden, wo uns eine extreme Aufmerksamkeit entgegenschlug und wir zwei Silberne Bären gewannen, das war schon extremes Glück. Durch diese Aufmerksamkeit hat sich das so entwickelt, dass ich wirklich von einem auf den anderen Tag tausend Angebote bekam und vor allem das Glück hatte, dass sich diese Angebote hinsichtlich des Anspruchs an dem orientierten, was „Alle anderen“ war. Ich war nicht, wie ich das von anderen Kollegen kenne, mit soviel Schrott konfrontiert. Die Angebote, die auf „Alle anderen“ folgten, blieben auf dieser Linie. Darüber bin ich total glücklich. Ich profitiere auch extrem davon, was das Theater mir als Forum bietet, denn als ich in Amsterdam „Hamlet“ spielte, sah mich dort Peter Greenaway und fragte mich im Anschluss, ob wir uns nicht mal wegen einer Filmrolle zusammensetzen wollen.

Sind Ihre internationalen Engagements, wie kürzlich auch bei Urszula Antoniak im niederländischen Film „Code Blue“, also in erster Linie durch Ihre Bühnenauftritte im Ausland zustande gekommen?
Das meiste ergibt sich in der Tat durch Gastspiele, da wir sehr viel mit den Stücken herumreisen. Urszula Antoniak hatte mich damals auch in Amsterdam auf der Bühne gesehen. Die Leute kennen mich eher durch meine Bühnenauftritte, Filme wie „Alle anderen“ schauen die sich dann im Nachhinein an und finden sie auch ganz toll, aber bei Greenaway und meinen anderen internationalen Filmrollen kam der Erstkontakt über das Theater zustande.

Das ist doch sehr schön, dass man mit Theaterauftritten auch im Ausland auf eine solche Resonanz stößt, die dann wieder ganz andere Türen öffnet …
Ich habe das auch schon bei Auftritten in Frankreich erlebt. Man kann sich das im umgekehrten Fall nur schwer vorstellen, dass eine ausländische Bühnentruppe bei einem Gastspiel in Berlin einen solchen Stellenwert hätte. Bei unseren Auftritten in Paris waren innerhalb einer Woche alle Karten für sechzehn Vorstellungen ausverkauft. Ich bin darüber regelrecht irritiert, wenn wir dort hinkommen und ich merke, dass wir in Frankreich wirklich Fans haben. Das ist eigentlich fast überall so. Demnächst sind wir mit einem Gastspiel in Istanbul, da bekomme ich derzeit täglich Mails von Leuten, die mir sagen, dass die Vorstellungen schon lange ausverkauft seien, und in denen ich gefragt werde, ob ich noch Karten hätte. Das ist echt verrückt!

INTERVIEW: FRANK BRENNER

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