Der 1992 in Krefeld geborene Jannis Niewöhner stand bereits als Zehnjähriger vor der Kamera. Als Gideon de Villiers in der „Edelstein-Trilogie“ nach Kerstin Gier gelang ihm der Durchbruch, 2015 wurde er als European Shooting Star ausgezeichnet. Seitdem spielte er in Filmen wie „4 Könige“, „Jonathan“, „Jugend ohne Gott“, „Narziss und Goldmund“ oder „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“. In Kilian Riedhofs „Stella. Ein Leben.“ übernimmt er die auf einem realen Vorbild basierende Rolle des Passfälschers Rolf Isaakson. Als Juden zur NS-Zeit versuchen Isaakson und die titelgebende Stella Goldschlag, der Gestapo zu entkommen.
trailer: Herr Niewöhner, was war für Sie ausschlaggebend, bei dem Projekt zuzusagen?
Jannis Niewöhner: Zum einen die Tatsache, wieder mit Paula Beer zusammenarbeiten zu können, denn sie ist meiner Meinung nach eine der besten Schauspielerinnen, mit der ich gearbeitet habe. Überhaupt war das ein toller Cast. Kilian Riedhof fand ich spannend als Regisseur, Benedict Neuenfels ist ein ganz besonderer Kameramann und dann war es natürlich auch die Geschichte – zu wissen, dass das wirklich passiert ist. Ich fand es sehr überzeugend, wie sämtliche Teile von Stellas Leben mit einbezogen wurden und man dadurch ihren Wandel gut nachvollziehen kann oder zumindest ansatzweise ein Gefühl dafür bekommt, warum so etwas passiert sein könnte.
Wie gehen Sie denn mit realen Figuren um? Recherchieren Sie viel im Vorfeld oder verlassen Sie sich da eher auf das Drehbuch?
Ich versuche immer, selbst zu recherchieren. Ich muss auch außerhalb des Drehbuchs ein Gefühl dafür bekommen, wie sich mein Charakter verhält und wie sich die Welt damals angefühlt hat. Da gibt es viele Mittel, auf die man zurückgreifen kann. Manchmal genügen mir dafür einfach schon kolorierte Filmaufnahmen vom Straßenleben aus der Zeit, aber auch Tonaufnahmen oder Bücher, die die Zeit noch einmal aus einer anderen Perspektive beschreiben. Hierbei hat sich Kilian in erster Linie an den Gerichtsprozessakten orientiert, als er zusammen mit den anderen Drehbuchautoren das Drehbuch geschrieben hat. Aber es gibt auch das Buch von Peter Wyden, einem ehemaligen Klassenkameraden von Stella Goldschlag, der mit seiner Familie noch rechtzeitig nach New York flüchten konnte und später als amerikanischer Soldat wieder zurückkam nach Deutschland. Er war ebenfalls Jude und damals in Stella verliebt. 20, 30 Jahre später begab er sich dann auf die Suche und hat sehr viel dazu recherchiert, was warum mit ihr passiert ist. In seinem Buch gibt er das sehr detailliert wieder, zusammen mit dem Schicksal von einigen weiteren jüdischen Familien und Einzelpersonen. Das Buch fand ich sehr eindrucksvoll und hilfreich.
Sowohl die Kameraführung als auch der Schnitt sind untypisch. Konnte man den Ansatz dazu schon im Drehbuch erkennen?
Mit Kameramann Benedict Neuenfels hatte ich zuvor schon zusammengearbeitet. Es ist toll, dass er immer eine eigene Filmsprache sucht, die zum Erzähltempo und zur jeweiligen Geschichte passt. Das ist gar nicht selbstverständlich. In diesem Fall hatte er eine Handkamera mit einem sehr langen Objektiv, bei der er selbst mit der rechten Hand den Zoom führen konnte. Dadurch ist das sehr schnelle und chaotische Ranzoomen entstanden, was sehr viel ausmacht. Der Schnitt trägt natürlich auch sehr viel dazu bei; und Regisseur Kilian Riedhof, der fast selbst wie ein Schauspieler ist, wenn man Szenen mit ihm erarbeitet. In der Art, wie er mit uns geredet hat, kam schon dieses Schnelle, Rotzige, Knurrige und Tierische durch, das er gesucht und dann mit uns geübt hat. Durch das alles habe ich immer mehr verstanden und fühlen können, welche Energie hier aufgebaut werden soll.
Es gibt im Film auch eine sehr rohe und gewalttätige Sexszene. Wie kann man sich denn darauf vorbereiten, das ist doch sicherlich nicht einfach zu spielen, oder?
Ich würde Sexszenen da gar nicht besonders hervorheben. Die sind nicht unbedingt viel anders als Szenen, in denen meine Figur sich gegenüber anderen als Arschloch verhält. Man begibt sich dabei in dunkle Szenarien, auch unabhängig vom Körperlichen, das gehört zum Beruf einfach dazu. Das Wichtigste ist dabei für mich, dass ich das Gefühl habe, dass ich meinem Spielpartner oder meiner Spielpartnerin vertrauen kann und umgekehrt genauso. Man braucht gegenseitiges Vertrauen und Vertrauen in die Geschichte, die man erzählt. Die Szene muss einen Sinn ergeben und auch, warum sie sich im Film befindet. Die Umsetzung, gerade bei allen körperlichen Szenen, folgt dann immer einer Art Choreografie. Da ist immer öfter jedes Detail abgesprochen, und die Aufgabe dabei ist es, es nicht nach einer Choreografie aussehen zu lassen. Es muss lebendig bleiben. Dann wird es wieder zu etwas Spannendem, das mir auch Spaß macht, wenn wir versuchen, es lebendig darzustellen. Aber klar: Es sind wahnsinnig düstere, heftige Momente, die man da spielt.
Ihre Figur Rolf Isaakson ist nicht wirklich zwiespältig, sondern eigentlich nur kaltherzig und manipulativ. Sie hat mich sehr an Ihre Rolle in „Je suis Karl“ erinnert. Übernehmen Sie solche Parts gezielt, um sich weiter von Ihrem Sonnyboy-Image zu lösen?
Nein, ich fand diese beiden Rollen einfach wahnsinnig spannend. Sie sind sehr unterschiedlich, aber ich kann erkennen, wo Sie da Parallelen sehen. Rolf ist ein Charmeur und ein Spieler, und seine Art, um das Leben zu ringen – was er die ganze Zeit macht – ist eine spielerische. Er lacht dem Schicksal auf eine rotzige Art ins Gesicht. Das war für mich spannend und schrecklich zugleich. Natürlich kann man nie ganz verstehen, warum jemand so ist wie Rolf, aber es gab ihn wirklich. In Wydens Buch wird ebenfalls geschildert, dass ihn Familienangehörige schon immer als skrupellos beschrieben hatten. Wie Sie sagen ist da nichts Zwiespältiges, er ist von Anfang an skrupellos und kalt, was mich sehr fasziniert hat.
Würden Sie sagen, dass man sich als gutaussehender Schauspieler nicht zwangsläufig mehr beweisen muss als andere? Haben Sie jemals diese Erfahrung gemacht?
Ich würde es nicht so ausdrücken, dass ich mich mehr beweisen musste als andere. Aber jeder Schauspieler entspricht einem Typ, und man wird aufgrund seiner Äußerlichkeiten immer wieder auf diesen Typ besetzt. Vor ungefähr zehn Jahren musste ich dagegen ankämpfen, weil ich gemerkt hatte, dass ich nicht das machen kann, was ich eigentlich machen will. Aber dann gab es einen Shift, und mittlerweile bin ich sehr glücklich mit den unterschiedlichen Dingen, die ich ausprobieren kann. Natürlich gibt es noch viele Dinge, die ich noch immer nicht gemacht habe und unbedingt machen will. Aber es ist nicht so, dass ich Filme wie „Je suis Karl“ oder „Stella. Ein Leben.“ drehe, um gegen mein Image anzuspielen. Es ist eher so, dass das die Rollen sind, auf die ich ganz lange gewartet habe. Es sind letztendlich einfach tolle Projekte, bei denen ich dabei sein will.
Im Vergleich zu anderen Jungstars drehen Sie sehr wenige Mainstreamkomödien, stattdessen eher kleinere oder Independent-Filme. Lehnen Sie viele Angebote ab, die in diese Richtung gehen würden?
Ja, ich sage schon viel ab, darunter aber auch einige ernsthaftere Stoffe. Ich habe in den letzten Jahren einfach versucht, auf mein Bauchgefühl zu hören: Was will ich wirklich machen? Ich schließe dabei aber auch nichts kategorisch aus, ich habe mal wieder große Lust auf eine gute Komödie. Aber dann muss sie auch gut sein und das Buch muss etwas mit mir machen. Aber nachdem ich jetzt sehr viele historische und ernsthafte Stoffe gemacht habe, sehne ich mich auch mal wieder nach einer Komödie, einem leichteren Stoff oder einer Geschichte, die im heute spielt. Ich schaue bei den Geschichten aber auch immer darauf, was sie haben, damit ich mit ihnen etwas Neues erzählen oder mich dabei selbst neu entdecken kann. Ich möchte nicht einfach nur irgendetwas nachmachen, sondern es soll schon auch etwas Innovatives sein können.
Bei der letzten Kinoprogrammpreisverleihung in Köln haben Sie erzählt, dass Sie noch regelmäßig mit Ihrer Familie ins Kino gehen. Können Sie denn nach wie vor unbelastet Filme genießen, oder fragen Sie sich dabei immer, wie Szenen gedreht wurden?
Ich schaue mir Filme heute auf jeden Fall anders an als früher. Ich sehe dabei oft auch den Moment der Inszenierung oder denke mir, das ist toll, wie sie an dieser Stelle die Pause gelassen hat (lacht). Ich habe schon einen technischen Blick darauf, aber das heißt nicht, dass ich mich nicht auch gleichzeitig total fallenlassen kann. Zuletzt habe ich mit meinen Eltern in Duisburg „Anatomie eines Falls“ gesehen. Das ist ein so unfassbar guter Film, dass ich den einfach total genießen konnte. Es müssen sehr gute Filme sein, sehr gut geschrieben, damit ich diesen technischen Blick auch verlieren und vergessen kann.
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