Die 1980 in München geborene Lavinia Wilson gehört schon lange zu den populärsten deutschen Schauspielerinnen, die bislang in rund 80 Film- und Fernsehrollen zu sehen war. Die Ehefrau ihres Berufskollegen Barnaby Metschurat kennt man aus Filmen wie „Allein“, „Quellen des Lebens“, „Schoßgebete“ oder „Enkel für Anfänger“. Im Fernsehen sah man sie zuletzt in „Andere Eltern“, „Deutschland 89“ oder „Legal Affairs“. Ab dem 16. März ist sie wieder auf der Kinoleinwand zu sehen, in Lutz Heineking juniors Verfilmung von „Der Pfau“ nach dem Erfolgsroman von Isabel Bogdan.
trailer: Frau Wilson, Ich könnte mir vorstellen, dass die Welt der Investmentbanker nicht so viele Gemeinsamkeiten hat mit der von Künstlern und Schauspielern, oder?
Lavinia Wilson: Ein Verbindungselement ist vielleicht, dass es in beiden Branchen viel Ehrgeiz gibt. Und es gibt einen starken Konkurrenzdruck, aber da hört es auch schon auf. Die Mittel, die gewählt werden, sind völlig andere. Aber das ist ja auch das Großartige an meinem Job, dass ich in Welten eintauchen kann, mit denen ich vorher keinerlei Berührungspunkte hatte. Ich habe auch schon Anwältinnen gespielt, aber die Egozentrik von Linda Bachmann gab es bislang in noch keiner vergleichbaren Rolle, die ich gespielt habe.
Was haben Sie gemacht, um sich in die Mentalität dieser Figur einzufinden? Reichte es, die Romanvorlage zu lesen oder hatten Sie auch reale Vorbilder dafür?
Die Buchvorlage war für mich natürlich sehr hilfreich, aber ich hatte auch einen sehr regen Austausch mit Christoph Mathieu, der die Drehbuchadaption des Stoffes geschrieben hat. Die Autoren haben sich über unseren Input gefreut und über die Tatsache, dass wir den Figuren eigene Ideen mitgeben wollten. Und ich habe mich im Vorfeld auch mit einigen Bankerinnen unterhalten und mir Aktien gekauft. Dafür habe ich mir eine Broker-App heruntergeladen und ein bisschen Geld in Öko-Aktien investiert. Die Dreharbeiten hatten im März 2022 begonnen, also kurz nach dem ersten Crash, nachdem Russland in die Ukraine eingefallen war. Im ersten halben Jahr lief deswegen alles super, aber mittlerweile ist wohl nichts mehr davon übrig, insofern arbeite ich wohl im richtigen Berufszweig (lacht).
Die Banker im Film unternehmen einen Teambuilding-Wochenendausflug nach Schottland, wo dann auch Teile des Films gedreht wurden. Haben Sie dabei ähnliche Erfahrungen mit dem Filmteam gemacht?
Zum Glück nicht, denn, wenn wir uns so bekriegt hätten wie die Figuren im Film, wäre das ja schrecklich gewesen. Trotzdem hat solch ein Film auch immer ein bisschen eine Klassenfahrt-Atmosphäre, erst recht mit solch einem großen Ensemble. Abgesehen davon, dass das alles sehr gute Kollegen sind, kannten sich viele von uns schon gegenseitig über all die Filmjahre, in denen wir schon in der Branche sind. Deswegen war das eher ein freudiges Wiedersehen. David Kross habe ich zum ersten Mal kennengelernt, aber ich schätze ihn wirklich sehr, und er ist einfach ein cooler Typ! Wir Schauspieler haben uns nicht so beharkt wie im Film, aber es war schon eine Herausforderung, weil wir nur wenig Geld und deswegen einen sehr hohen Zeitdruck hatten, wie es ja mittlerweile sehr häufig der Fall ist.
Interessanterweise haben Sie vor einigen Jahren mit „Outside the Box“ schon einmal einen Teambuilding-Film gedreht …
Ja, stimmt, das ist aber ein kompletter Zufall. Hier reizte mich in erster Linie, dass ich ein viertes Mal mit Lutz Heineking junior zusammenarbeiten konnte. Da stellte sich mir die Frage gar nicht, ob ich dabei mitmache oder nicht. Bei ihm wäre es mir egal gewesen, welche Geschichte er mir anbietet (lacht). Lutz ist einer der ersten, der mir konsequent zutraut, dass ich auch ziemlich komisch sein kann, das finde ich großartig. Deswegen hat es mir in den letzten Jahren immer große Freude bereitet, mit ihm zu arbeiten. „Outside the Box“ ist nun auch schon wieder fast zehn Jahre her, und Philip Koch ist ebenfalls ein großartiger Regisseur. Aber der Film ist damals leider nicht so wahrgenommen worden, wie er es verdient hätte, was ich sehr schade fand. Das Thema, dass eine Gruppe Menschen sich irgendwo isoliert, wo sich dann ein Kammerspiel entfaltet, bei dem die Emotionen hochkochen und die Leute sich entblößen, ist ein sehr dankbares Filmsujet. Beim „Pfau“ kommt nun noch hinzu, dass man mit den britischen Krimikonventionen eines Whodunnits spielt. Und darüber hinaus auch noch mit den Innenwelten der Charaktere, was man filmisch hier meiner Meinung nach sehr gut aufgelöst hat.
Whodunnits und die klassischen Agatha-Christie-Krimis sind momentan ja wieder sehr populär. Haben Sie eine Idee, warum das so ist?
Ich glaube, das hat etwas mit Eskapismus zu tun. Die Welt geht gerade dermaßen den Bach runter, dass eine nicht dumme Kriminalgeschichte den Menschen für zwei Stunden Erholung vom Alltag gibt, was völlig legitim ist. Hinzu kommt auch noch eine Lust an der Überspitzung, die einfach Spaß macht. Krimis sind ja schon immer wahnsinnig erfolgreich, obwohl das noch nie mein persönlicher Geschmack war.
Die Banker im Film verzweifeln fast, weil sie auf dem Land keinen Internetempfang haben. Können Sie selbst auch mal gut ohne Internet auskommen?
Ich selbst kann das sehr gut und mache das auch gerne. Ich versuche zum Beispiel auch, meinen Social-Media-Konsum zu beschränken. Ich lösche Instagram immer wieder und gehe dort quasi nur einmal in der Woche hin, sozusagen zur Arbeit. Aber ich informiere mich auch gerne über die aktuellen Iran-Proteste, und dafür ist Instagram ein wirklich gutes Informations-Tool. Im Alltag ist es natürlich schwierig, aber im Urlaub versuche ich wirklich, das Handy zu Hause zu lassen oder auszuschalten.
Ihre Serie „Legal Affairs“ läuft erfolgreich auf Netflix. Macht es für Sie bei der Rollenwahl einen Unterschied, für welche Verwertung eine Produktion vorgesehen ist, oder sind Sie einfach nur dankbar über den durch Streamingdienste expandierenden Markt?
Mittlerweile ist es so, dass sich der Markt sogar eher wieder etwas schließt, was alle nervös macht. Über Jahre hinweg haben die großen Streaming-Player sehr viel Geld in den Markt gepumpt, denn insbesondere in der Corona-Pandemie brauchte man viel Content, weil die Leute sehr viel geglotzt haben und gegiert haben nach neuen Inhalten. Jetzt spürt man, dass alle rechnen und zurückhaltender werden, sich fragen, ob es sinnvoll ist, in die regionalen Märkte so viel Geld zu investieren. Selbst große Projekte werden kurz vor Drehbeginn doch wieder gecancelt, was insgesamt zu einer sehr nervösen Stimmung führt. Öffentlich-rechtliche Sender sind da wesentlich zuverlässigere Partner, auch wenn der Entstehungsprozess dort häufig länger dauert. Ausnahmen gibt es aber, beispielsweise bei einem meiner liebsten Projekte der letzten Jahre, der ZDFneo-Serie „Drinnen – Im Internet sind alle gleich“, die innerhalb nur weniger Tage grünes Licht bekam, was bei dieser Instant-Fiction-Geschichte ja eigentlich auch der Sinn war. Ich bin ein großer Verfechter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, nicht nur, was Fiktion angeht, sondern auch hinsichtlich der Information und des Bildungsauftrages, der hier erfüllt wird. Und da ist es nicht schlecht, dass sie durch die Produktionen der Streamingdienste und den daraus entstehenden Konkurrenzdruck bei ihren eigenen Produktionen angespornt werden. Aber mich als Schauspielerin interessiert der kreative Prozess, weniger, wie die Zuschauerzahlen am Ende aussehen. Damit kann ich mich nur am Rande beschäftigen, weil mich das sonst hemmen würde bei der Ausübung meines Berufes. Aber ich schaue mir schon an, ob eine Erzählform zur Verwertungsart passt.
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