Jules Massenet ist in Deutschland vor allem bekannt durch seine Opern „Werther“ und „Manon“ (derzeit am Theater Aachen zu sehen). Seine „Hérodiade“, 1881 in Brüssel uraufgeführt, fristet dagegen ein Schattendasein im Repertoire – vielleicht, weil man glaubt, mit der „Salome“ von Richard Strauss die blutig-laszive Geschichte um Herodes, Herodias, Salome und den Propheten Jochanaan packender abhandeln zu können.
Doch das ist ein Missverständnis und greift zu kurz. In Massenets Oper auf der Basis einer Erzählung von Gustave Flaubert ist tatsächlich die titelgebende Hérodiade die Hauptfigur. Massenet gestaltet sie als eine gefährliche Femme fatale, die passgenau auf die exotischen Männerprojektionen der Zeit zugeschnitten ist. Die aufreizend fremde Atmosphäre des Hofs von Herodes, der politische Kampf zwischen Römern und den Völkern in der römischen Provinz Judäa, die provokante erotische Sinnlichkeit zwischen Salome und dem Propheten, die in eine große Liebesszene mündet: Alles das verbindet Massenet zu einer musikalisch farbigen, großen Oper, die sich deutlich an Giacomo Meyerbeer orientiert und dessen Modell weiterentwickelt.
Hérodiade scheitert, weil sie mit dem Verlust ihrer sexuell begründeten Macht über Herodes auch ihren politischen Einfluss verliert und weil sie ihre Rolle als Mutter von Salome verfehlt: Ihre Tochter ersticht sich am Ende selbst, weil die – jetzt erst erkannte – eigene Mutter schuld ist am Tod ihres Geliebten, des Propheten Jean. Regisseur Lorenzo Fioroni erzählt die Geschichte einer Frau, die am Ende alles verliert: Ihre Macht, um derentwillen sie zur kalten Mutter wurde, und ihre Tochter, deren Liebe sie hätte erlösen können. Am Pult steht mit dem Saarbrücker Generalmusikdirektor Sébastien Rouland ein Dirigent, der mit dem französischen Repertoire und dem vielfältigen musikalischen Vokabular Massenets vertraut ist. Ramona Zaharia verkörpert die faszinierende Rolle der Hérodiade; als ihre Tochter Salomé ist Luiza Fatyol zu erleben. Sébastien Guèze singt den Jean, den – anders als später Strauss seinen Jochanaan – Massenet für einen Tenor geschrieben hat und damit den erotischen Aspekt hervorhebt.
Herodiade | 27.5. (P), 4., 8., 18., 23., 25.6. | Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf | 0211 89 25 211
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