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Jan-Ole Gerster am „Lara“-Set mit seinen Hauptdarstellern Tom Schilling und Corinna Harfouch.
Foto: StudioCanal/Frédéric Batier

„Corinna Harfouch ist eine Klasse für sich“

30. Oktober 2019

Jan-Ole Gerster über „Lara“ – Gespräch zum Film 11/19

Im Jahr 2000 begann der 1978 in Hagen geborene Jan-Ole Gerster ein Praktikum bei X Filme Creative Pool. Er war persönlicher Assistent Wolfgang Beckers bei der Entstehung von „Good Bye Lenin!“, bevor er ein Drehbuch- und Regiestudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin begann. Sein Abschlussfilm „Oh Boy“ wurde zum Kinohit und mit etlichen Preisen ausgezeichnet. Nach sieben Jahren hat Gerster nun mit „Lara“ seinen zweiten Spielfilm inszeniert, am 7. November startet dieser in den Kinos.

trailer: Herr Gerster, ich habe den Eindruck, dass Berlin auch in „Lara“ eine heimliche zweite Hauptrolle spielt. Würden Sie mir da recht geben?

Jan-Ole Gerster: Sehr heimlich diesmal. Ich hatte eigentlich nicht vor, wieder wie bei „Oh Boy“ einen Film zu machen, in dem die Stadt die zweite Hauptrolle spielt. Aber es hat sich einfach so ergeben. Das hat damit zu tun, wie ich auf Motive blicke und wieviel Bedeutung ich denen beimesse. Ich mag es, wenn man erkennt, wo man ist, und wenn sich dabei ein irgendwie homogenes Bild ergibt. Dieses Mal habe ich das Buch nicht selbst geschrieben, sondern der slowenische Autor Blaž Kutin. Der hatte den Stoff ursprünglich in Ljubljana verortet, aber das Buch blieb, für mich auf unerklärliche Weise, zwölf Jahre lang unverfilmt. Als ich das Skript gelesen hatte, habe ich ihm so viel Universalität und Zeitlosigkeit zugesprochen, dass ich der Überzeugung war, dass es überall spielen konnte. „Oh Boy“ wurde zu großen Teilen in Bezirken wie Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Berlin-Mitte gedreht, „Lara“ hat nun ihr Zuhause in Charlottenburg gefunden, was ich sehr passend fand, weil es dort einen bildungsbürgerlichen, fast bundesrepublikanischen Flair gibt. Es hat mich sehr stimuliert, dort auf Motivsuche zu gehen, denn für „Oh Boy“ hatte ich zumindest in den anderen Bezirken alles abgegrast (lacht).

Die Motive erinnern mich wiederum in zahlreichen Aspekten nun an Paris...

Charlottenburg hat an manchen Ecken diesen besonderen Pariser Charme, die Kellner tragen dort Oberhemd und Krawatte, es gibt die französischen Stühle, Tische und Markisen vor den Türen der Cafés, das habe ich natürlich sofort dankend angenommen. Ich wollte nicht explizit einen französischen Flair kreieren, dennoch erinnerte mich der Stoff an Claude-Sautet- oder späte François-Truffaut-Filme. Diese Dinge spielen oft eher unterbewusst eine Rolle, wenn man vor einem Motiv steht, das einem gefällt. Diese Eingebungen und Intuitionen, die man beim ersten Lesen hat, versuche ich zu bewahren und ihnen, soweit es geht, nachzugehen.

Vielleicht entspringt die Paris-Assoziation bei mir auch aus der Tatsache, dass ich finde, Corinna Harfouch spielt hier eine Art Isabelle-Huppert-Rolle...

Isabelle Huppert hat ja wirklich alles im französischsprachigen Raum gespielt, was man spielen kann, wenn es um Frauen in einem gewissen Alter geht, und diesen Vergleich habe ich nun tatsächlich schon ein paarmal gehört. Corinna und ich nehmen ihn immer als Kompliment, und trotzdem ist Corinna natürlich Corinna. Sie ist als Schauspielerin eigenständig und originell genug, dass sie keinen Vergleich mehr braucht – ein Klasse für sich. Corinna und ich sind demnächst mit „Lara“ auf einem französischen Festival, und ich habe nun erfahren, dass Isabelle Huppert dort zur gleichen Zeit einen Preis für ihr Lebenswerk erhalten wird. Das Foto, das ich von dem Festival mitnehmen will, ist ein Foto von den beiden Frauen zusammen!

Im Gegensatz zu „Oh Boy“ haben Sie hier das Drehbuch nicht selbst geschrieben. Wie sind Sie an den Stoff herangekommen, und wie war das Arbeiten im Gegensatz zum Verfilmen eigener Ideen?

Ich habe den Autor auf meiner fast ewigen Suche nach einem Co-Autor über einen gemeinsamen Freund, den Dramaturgen Franz Rodenkirchen, kennengelernt. Regelmäßig habe ich die Sehnsucht, jemanden zu haben, mit dem man Ideen hin- und herspielen kann. Blaž Kutin, der Autor, wohnt mittlerweile schon seit ein paar Jahren in Berlin. Nachdem wir uns kennengelernt und über gemeinsame Ideen gesprochen hatten, erwähnte er immer mal wieder das Drehbuch, das er bereits vor Jahren geschrieben hatte, das aber unverfilmt geblieben war, obwohl er dafür auch schon einige Preise gewonnen hatte. Deswegen wollte ich das Drehbuch schließlich lesen, und danach löste sich bei mir eine Anspannung, weil ich merkte, dass ich endlich den Stoff für meinen zweiten Film gefunden hatte. Die Aufmerksamkeit, die „Oh Boy“ zuteilwurde, hatte natürlich auch dazu geführt, dass mir der eine oder andere Stoff angeboten wurde, aber irgendwie hatte es sich nie ganz richtig angefühlt. Bei „Lara“ war das anders. In der Tonalität und in der Sicht auf die Figuren und die Welt, die er erzählt, auch der trockene Humor, der hier schon erkennbar war, hat alles zu mir gesprochen. Aber vor allem der Konflikt dieser Figur. Ich tendiere ohnehin dazu, die große Geschichte im Kleinen zu suchen und nicht umgekehrt. Deswegen kam mir das Buch sehr nahe. Der große Unterschied besteht darin, dass man es sich erarbeiten muss, was eine schöne Aufgabe ist. Sich einer Figur zu nähern, die augenscheinlich nicht sehr viel mit einem zu tun hat, dann aber zu schauen, warum sie einen trotzdem berührt. Es war ein Prozess, bei dem ich von außen nach innen gearbeitet habe, während ich mir bei „Oh Boy“ die Geschichte von innen nach außen erarbeitet habe, weil es ein autobiografisch angelehnter Stoff war. Bei „Lara“ musste ich schauen, wie ich zum Kern vordringe. Sich in andere Figuren hineinzuversetzen und ihr Geschichte zu erzählen ist ein großes Privileg.

Genau, hier steht nun im Gegensatz dazu eine Frau Ihrer Elterngeneration im Mittelpunkt. Wie haben Sie Anknüpfungspunkte an diese Figur gefunden?

In meinen Augen ist es das Drama eines falsch gelebten Lebens. Diese Angst umgibt mich auch immer. Ich habe Probleme mit der Endlichkeit und frage mich, wie man gut gehen kann. Das hat meiner Meinung nach viel damit zu tun, ob man das Leben gelebt hat, das man sich gewünscht hat, ob man Träumen und Leidenschaften nachgegangen ist, ob man das gewagt hat. An diesen Punkt kommt man oft bei künstlerischen Prozessen, ich speziell während meines Studiums, wo ich mit der Aufgabe, einen Abschlussfilm zu drehen, konfrontiert war. Bis dahin war ich Kinofan, der beim Film gearbeitet hatte. Ich hatte eine übertrieben große VHS-Sammlung und mir ein Nerd-Wissen angeeignet. Einige Jahre habe ich bei X Filme Creative Pool gearbeitet und alles aufgesaugt wie ein trockener Schwamm. Dann war es so, dass ich selbst eine Sprache und eine Handschrift finden musste, was aber auch einen gewissen Druck und die Angst, zu scheitern, mit sich brachte. In einer ähnlichen Position hat sich Lara gegen ein Leben mit der Musik entschieden. Im Gegensatz zu ihr habe ich mich glücklicherweise nicht davon abbringen lassen, denn eine Sache, die noch grausamer ist als das Scheitern, ist die Tatsache, wie Lara irgendwann auf das Leben zurückzublicken und sich zu fragen, warum sie etwas eigentlich nicht probiert hat. Die Absolutheitsansprüche und die Ängste, nicht zu genügen, kenne ich ganz gut und habe sie in dieser Figur erkannt. Das hat mich angespornt.

Die Besetzung der Titelrolle in solch einem Stoff ist extrem wichtig. War es schwierig, eine Darstellerin zu finden, oder war Corinna Harfouch von Anfang an gesetzt?

Ich kenne natürlich, wie die meisten Menschen in diesem Land, den Namen Corinna Harfouch. Wenn man Fernsehen und Filme schaut, dann begegnet man ihr zwangsläufig irgendwann einmal. Bei mir war es allerdings ein Theaterbesuch, denn Corinna ist ja auch eine große Theaterschauspielerin. Vor einigen Jahren habe ich das Theater, nach einer langen Zeit der Ignoranz, schließlich doch für mich entdeckt. In einer Inszenierung von Tschechows „Möwe“ durch Jürgen Gosch habe ich Corinna Harfouch auf der Bühne gesehen und war regelrecht erleuchtet. Sie spielte darin übrigens auch eine sehr manipulative, narzisstisch gestörte Mutter, die sich an ihrem Sohn abarbeitet. Das ist allerdings ein Zufall, denn zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich eines Tages ein Drehbuch namens „Lara“ lesen werde. Aber sie war in meinem Kopf als jemand, der mich wirklich bewegt und begeistert hat. Als ich das Drehbuch dann las, hatte ich schon ab Seite 2 Corinna Harfouch für die Rolle in meinem Kopf. Dann habe ich ihr über die üblichen Wege das Drehbuch zukommen lassen, in der Hoffnung, dass sie es mag und spielt. Wir haben uns getroffen und auf Anhieb gut verstanden, gute Gespräche über den Stoff und andere Themen geführt, und dann war schon an diesem Nachmittag klar, dass wir das Projekt zusammen machen würden.

Sowohl „Oh Boy“ als auch „Lara“ sind so etwas wie Großstadt-Road Movies. Würden Sie sich selbst auch als Großstadtmenschen bezeichnen?

Ich stelle gerade fest, dass ich wohl auch ein Naturmensch bin. Das hat allerdings eine Weile gedauert, und ich selbst bin noch nicht bereit, die Großstadt gänzlich zu verlassen. Mich reizt mittlerweile auch ein Landhaus mit Blick auf den Wald und die damit verbundene Ruhe beim Schreiben. Idealerweise lebt man beides. Momentan bin ich noch Stadtmensch, allein deswegen, weil ich gerne ins Theater, ins Museum, ins Kino und ins Konzert gehe, könnte ich die Stadt nie gänzlich aufgeben. Gerade wachsen aber auch meine Landsehnsüchte.

Für die im Film sehr wichtige Bildsprache konnten Sie mit Frank Griebe einen der besten Kameramänner hierzulande gewinnen. Wie kam das zustande?

Frank Griebe kenne ich schon seit zwanzig Jahren, er hat ja seit den ersten Kurzfilmen jeden Film von Tom Tykwer gedreht. Eines meiner ersten Filmpraktika war für Tom Tykwer, in diesem Kontext habe ich Frank kennengelernt und über die Jahre immer wieder getroffen. Wir haben uns nie aus den Augen verloren und sind quasi auch Nachbarn. Als die Planung von „Lara“ schon sehr konkrete Züge annahm, habe ich Frank zufällig mehrere Male kurz hintereinander getroffen. Wir haben erzählt, was wir jeweils so machen, und so ist ein natürlicher Dialog über das Projekt entstanden, ohne dass das forciert gewesen wäre. Er war interessiert und irgendwann war es fast zwangsläufig, dass ich ihn fragte, ob er nicht die Kamera bei dem Film machen will. Gemeinsam haben wir die Bildsprache gesucht und gefunden, bei der wir es reizvoll fanden, die Figur eher aus der Distanz zu beobachten und auch ein bisschen in die Bilder einzusperren. Wir haben uns das dann getraut, weil es auch für Frank ungewöhnlich war, die Kamera nicht zu bewegen. Für mich war es auch ein bisschen gefährlich, weil wir die Schauspieler in ihrer Freiheit damit heruntergefahren haben. Das war dann in einer natürlichen Begrenzung alles sehr genau durchchoreografiert, was aber auch beflügelnd wirken konnte.

Gibt es schon etwas Neues bezüglich der von Ihnen schon seit längerem geplanten Verfilmung von Christian Krachts Roman „Imperium“?

Wir haben in dieser Woche wieder eine Drehbuchbesprechung gehabt. Das Projekt lag aufgrund der Fertigstellung und Herausbringung von „Lara“ etwas brach, aber wir sind noch dran. Es ist ein schwieriges Projekt, aber ein sehr reiches, vielschichtiges und originelles. Diesen Roman in eine Form zu gießen, ist eine große Aufgabe. Auch dreh- und finanzierungslogistisch ist das Ganze ein Megalomania-Projekt. Aber jeder Regisseur braucht ein solches Megalomania-Projekt, das einen gewissen Werner-Herzog-Wahnsinn hat, „Imperium“ ist in diesem Fall meins. Ich hoffe, dass wir im nächsten Jahr dann soweit sind, zu entscheiden, wo und wann wir das drehen.

Interview: Frank Brenner

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