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Opernkomponist Gaetano Donizetti
Lithografie von Joseph Kriehuber, 1842

Jeder stirbt für sich allein

30. März 2017

Donizettis „Lucia di Lammermoor“ – Opernzeit 04/17

Es herrschen instabile innenpolitische Verhältnisse in Schottland um das Jahr 1712. Das Land befindet sich in einer Umbruchsituation, der Anschluss an England steht unmittelbar bevor. Der Kampf um die Vorherrschaft zwischen den Tories und den Whigs wird von der Konfessionszugehörigkeit befeuert, die Anhänger der jeweiligen Partei sind radikalisiert und bekämpfen sich im blinden Hass. Religion verkommt zur Ideologie, rechtfertigt Verfolgung und Enteignung. Gewalt und Terror sind an der Tagesordnung.

In unsicheren Zeiten des politischen Umschwungs bestimmen diejenigen, die gerade an der Macht sind, was Recht und Unrecht ist. Jeder versucht, seinen eigenen Vorteil herauszuschlagen, einen Common Sense gibt es nicht. Die kollektive Angst greift um sich: Die herrschenden protestantischen Whigs können sich ihrer durch Enteignung erlangten Besitztümer und Vorrechte nicht mehr sicher sein, denn die bevorstehende Vereinigung beider Länder eröffnet den katholischen Tories die Möglichkeit, im Londoner Parlament ihre Rechte einzuklagen. Zwischenmenschliches Misstrauen, Denunziation und Korruption bestimmen die politischen und privaten Verhältnisse.

Im Mittelpunkt der Handlung nach dem Roman von Sir Walter Scott steht eine junge Frau. Lucia gehört einer einflussreichen Familie der Whigs an, die durch Enteignung eines alten Adelsgeschlechtes der Tories zu Macht und Reichtum gelangt ist. Nach dem Tod der Eltern steht Lucia unter der strengen Obhut ihres Bruders und lebt isoliert in einer Männerwelt, gefangen in deren hierarchischen Strukturen. Streng gläubig im Sinne des Puritanismus erzogen, hat sie die Funktion der Braut in spe, welche durch strategische Verheiratung die gefährdete politische Position des Bruders stabilisieren soll.

Lucias will aus dieser Rolle ausbrechen, doch ihre Hoffnungen auf ein selbstbestimmtes Leben und ihre Liebe zu Edgardo – Katholik und Nachkomme des vom Bruder enteigneten Adelsgeschlechts – bleiben unerfüllt. Sie wird massiv vom Bruder und dem puritanischen Priester unter Druck gesetzt, mit falschen Informationen über die vermeintliche Untreue Edgardos manipuliert und schließlich zwangsverheiratet. In der Hochzeitsnacht eskaliert das Geschehen: Sie erwehrt sich der männlichen Vereinnahmung und ermordet den Gatten. Ihr Befreiungsschlag wird als Wahn gebrandmarkt, als Wahnsinnige muss sie sterben. Diese Szene ist die wohl größte Bravournummer der italienischen Belcanto-Oper überhaupt und löste, wie die ganze Oper, bei der Uraufführung 1835 in Neapel Begeisterungsstürme beim Publikum aus. Doch die Koloratur-Kaskaden dienen dem Komponisten nicht dem virtuosen Stimmexhibitionismus, sondern vielmehr als Ausdrucksmittel für Lucias geistig entrückten Zustand und ihre expressive Empfindungen.

Sie stirbt getrennt von dem Geliebten. Die Hoffnung auf Freiheit und Versöhnung eines ganzen Landes, die sich in der Verbindung mit ihm hätte manifestieren können, ist erloschen. Edgardo nimmt sich das Leben – jeder stirbt für sich allein.

„Lucia di Lammermoor“

R: Christof Loy | 21., 28.4., 5.5. je 19.30 Uhr | Theater Duisburg | 0203 28 36 21 00

R: Eva-Maria Höckmayr | 9., 16.4. 18 Uhr, 20., 22., 28.4. 19.30 Uhr | Oper Köln | 0221 221 284 00

Kerstin Maria Pöhler

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