Jaufré Rudel ist von der Oberflächlichkeit eines auf Vergnügen ausgerichteten Lebens ernüchtert und hat sich eine neue Form von Liebe als Ideal gesetzt – soweit, so wenig verwunderlich: Sicher ein Opfer des Konsumterrors, möchte man meinen, einer, der dem Turbokapitalismus durch eine selbstgewählte Innerlichkeit entfliehen möchte. Doch weit gefehlt: Jaufré Rudel war ein Prinz und Troubadour im zwölften Jahrhundert. Über sein Leben ist wenig bekannt. Möglicherweise war er am Zweiten Kreuzzug von 1147 bis 1149 beteiligt. Sicher hingegen ist, dass die Liebe aus der Ferne – Französisch: L‘amour de loin – zentrales Thema seiner Dichtungen war. Immerhin sieben davon sind erhalten geblieben. Das sexuelle Verlangen wird in diesen Dichtungen als Sehnsucht nach einer unerreichbaren und idealisierten Geliebten sublimiert – ein wahrlich zeitloses Thema.
Rund 850 Jahre nach Rudels Schwärmereien griffen es die finnische Komponistin Kaija Saariaho und ihr franco-libanesischer Librettist Amin Maalouf wieder auf. „L‘Amour de Loin“ ist Saariahos erste Oper. Im Jahr 2000 wurde sie bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. Und anders als bei vielen anderen zeitgenössischen Bühnenwerken blieb das Interesse an der Oper danach weiterhin hoch – vielleicht, weil der Stoff mit seiner thematischen Nähe zu Debussys „Pelléas et Mélisande“ und Wagners „Tristan und Isolde“ ein so eindeutig prädestinierter Opernstoff ist. Jedenfalls folgten weitere Inszenierungen in Europa und den USA. Und 2011 bescherte eine CD-Einspielung dem Deutschen Symphonie-Orchester samt Rundfunkchor Berlin unter Kent Nagano gar einen Grammy.
In Köln bringt Johannes Erath als bewährter Gastregisseur (Gounods „Faust“, Massenets „Manon“, Glucks „Orfeo ed Euridice“) das Werk zur Erstaufführung. Die musikalische Leitung am Pult des Gürzenich-Orchesters hat Constantin Trinks.
Die Handlung, im Wechsel zwischen Abendland und Morgenland angesiedelt, spielt im mittelalterlichen Aquitanien, in Tripolis und auf dem Meer. Der Troubadour Jaufré Rudel hat sich eine neue Form von Liebe als Ideal gesetzt: die sehnsüchtige Liebe zu einer fernen, unbekannten Geliebten, deren Tugenden er in seinen Liedern preist. Nicht sicher sein zu dürfen, ob die von ihm gepriesene Frau tatsächlich existiert, und dabei in Kauf zu nehmen, eventuell niemals eine Erfüllung seiner Sehnsucht erfahren zu können, scheint ihm in seiner Lebenssituation die höchste Form des Liebens. Die Angebetete, Clémence, kann diesem Spiel durchaus etwas abgewinnen – aber eigentlich nur aus der Ferne. Und so kommt es, wie es kommen muss: Die Erfüllung der Sehnsucht führt letztlich ins Desaster. Gesungen werden die zentralen Partien des Jaufré und der Clémence von Holger Falk und Emily Hindrichs.
L´Amour de Loin | 27., 29., 31.10., 6., 10., 13.11. | Oper Köln | www.oper.koeln
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