Der leider früh verstorbene Flamenco-Gitarrengott Paco de Lucía blickte mit ernster, oft erstarrter Mimik, wenn er die raketenschnellen mühevoll antrainierten Läufe abschoss. Wenn das „Trio Brasileiro“ und die Klarinettistin Anat Cohen, diesjährige Künstlerin „in Residence“ des Multiphonics-Festival, in die Saiten von Mandoline und Gitarre greifen und in abenteuerlichem Tempo rasende Läufe abspulen, dann lächeln sie sich locker an, sie haben Spaß – und sie lauschen dem perligen Blubbern der Klarinette, die ganz leger und immer in der Spur wie mit Blasebalg betrieben parallel zu den Gitarrenlinien im Chor singt. Und das quirlige Unisono, das heißt „gemeinsam mit den anderen“, macht den Reiz des brasilianischen Choro (sprich: Schoru) in den wilden Ablegern dieser Musik aus.
Aber die dreht sich auch melancholisch im Walzerrhythmus oder swingt ganz melodiös, der Choro kennt viele Gesichter. Natürlich klingt dieser Musikstil, eine Fusion aus Polka, Walzer und Jazz vor über einhundert Jahren, heute wieder ganz anders und wird täglich neu erfunden. Vor rund zehn Jahren hat sich der Film „Brasileirinho“ von Mika Kaurismäki mit dieser Musik und besonders mit ihren Interpreten beschäftigt. Mittlerweile lebt der Choro nicht nur in Rio, sondern gilt auch in New York – dort lebt Anat – und Paris als cool.
Die israelische Klarinettistin Anat Cohen, Schwester der im Jazz angesehenen Brüder Yuval am Sax und dem Trompeter Avishai, wird außer in Konzerten auch in einem Kurs in die Welt dieses „Brasilianischen New Orleans Jazz“ einführen. Eingeladen sind alle Blas-, Zupf-, Streich- und Perkussionsinstrumente und ihre erfahrenen Spieler. Eine extravagante Begegnung mit der Kölner Szene ermöglicht der WDR-Saxophonist Paul Heller, der die auch Saxophon spielende Cohen in seine Reihe Next Level Jazz einlädt und dort mit einer kleinen Big Band ganz in die Welt der Jazz-Standards eintauchen lässt.
Eric Schaefer, ein deutscher Schlagzeuger und Komponist, hat ein anderes Großprojekt auf den Weg gebracht: Er verarbeitete einen dreimonatigen Studienaufenthalt in Kyoto zu einer CD-Einspielung, deren Ideen und kulturelle Vielfalt und auch die Besetzung aus dem Besuch in der Kaiserstadt resultiert. Besonders der Klang der Koto, einem knapp 2 Meter langen hölzernen Hohlkörper-Instrument mit 13 Saiten, entführt sofort in asiatische Klangsphären. Die Koto-Spielerin Naoko Kikuchi lebt in Deutschland als Spezialistin für zeitgenössische Klänge. Und auch die bei diesem Festival obligatorische Klarinettenstimme stammt aus Japan: Kazutoki Umezu erdet die Musik mit der Bassklarinette, die er richtig unter Dampf hält.
Die Festival-Chefin Annette Maye präsentiert ihr Trio ensemble FisFüz mit den ganz besonderen Gästen Jean-Louis Matinier am Akkordeon und dem Hornisten Arkady Shilkloper. Und Klarinette pur liefert das Festivalprojekt mit den angereisten Klarinettenstars: WDR-Jazzpreisträgerin Christina Fuchs schreibt spezielle Musik für Klarinettenquartett plus Rhythmusgruppe. Angestrebte Laufrichtung: Bartók mit Improvisation.
Multiphonics Festival 2018 | 28.9. - 7.10. | Köln (Stadtgarten), Düsseldorf (Jazz-Schmiede) und Dortmund (domicil) | www.multiphonics-festival.com
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