Was wäre die „West Side Story“ ohne die geniale Choreografie von Jerome Robbins. Ähnliches gilt auch für die Inszenierung von Ewa Teilmans, die sich den niederländischen Choreografen Joost Vrouenraets mit ins Boot holte. Der Béjart-Schüler gewinnt mit seiner für Aachen zusammengestellten, 24-köpfigen Tanz-Truppe dem Musical-Klassiker völlig neue Reize ab.Seine Anleihen bei klassischem Ballett, Modern Dance, Break Dance bis hin zu Martial-Arts-Elementen führen zu außergewöhnlichen Choreografien. Wie etwa beim Aufeinandertreffen der Gangs: Die Schläge treffen den entfernt stehenden Gegner nur virtuell, wir sehen aber die Wirkung.
Aber wenn die Tanz-Truppe spielen muss, beginnt das Dilemma der Inszenierung: Da radebrecht der Anführer der einheimischen Jets (gespielt von US-Bariton Benjamin Wert): „Dieses Viertel gehört uns“ – und schon glaubt man den Konflikt mit den puertoricanischen Einwanderern nicht, deren Banden-Anführer Bernardo von einem Deutschen (Philipp Manuel Rothkopf) verkörpert wird. Noch abstruser wird es, wenn Teilmans den Chilenen Patricio Arroyo als waschechten US-Boy Tony auf den Balkon schickt, um seine Maria (Rosemarie Weissgerber) anzusingen. Und ihr typischer „Regie-Theater“-Einfall, zu Beginn und am Ende eine gealterte Maria (Irena Orawiec) auftreten zu lassen, die den halbnackten Tänzern die Sixpacks befingern darf, wirkt allzu bedeutungsschwanger. So scheitert die Inszenierung letztlich, wenn auch auf hohem tänzerischen Niveau.
„Promises, Promises“, wie das 1968 uraufgeführte Musical im Original heißt, war eines der ersten auf einem Kultfilm („The Apartment“,1960) beruhenden Musicals. Es erzählt vom New Yorker Büroangestellten Chuck, der sein Apartment seinen Vorgesetzten für deren Schäferstündchen leiht und damit die Karriereleiter hochklettert. Erst als Fran, die Geliebte seines Chefs, die er heimlich liebt, in seiner Wohnung einen Selbstmordversuch unternimmt,erkennt er das Absurde seines Verhaltens und sie ihre Liebe zu ihm.
Natürlich kann diesetragikomische Gesellschaftssatire auch ohne Musik bestehen – und vielleicht war das ein Beweggrund des Rheinischen Landestheater Neuss, sie mit einem reinen Schauspieler-Ensemble auf die Bühne zu bringen. Aber das mit seinen Musical-Inszenierungen nicht gerade glücklich agierende Haus übernimmt sich auch diesmal. Juan Miguel Verdugo Garcia und seine Band geben zwar ihr Bestes, um Bacharachs eingängige Melodien („I‘ll Never Fall in Love Again“) auf die Sänger zu übertragen: aber wo keine Stimme ist und nur eine schwachbrüstige Tonanlage zur Verfügung steht, bleibt alle Mühe umsonst. Zumal man den Songs durch die unnötige Eindeutschung auch noch ihren rhythmischen Verve nahm. Was bleibt, ist eine von Regisseur Thorsten Duit gut getimte Boulevard-Komödie. Vorgetragen von einem schauspielerisch überzeugenden Ensemble in hübschem Bühnenbild.
„West Side Story“ | Theater Aachen | 4.4., 19.4., 28.4., 30.4. 19.30 Uhr | 0241 478 42 44
„Das Appartement“ | Rheinisches Landestheater Neuss | Do 23.4. 20 Uhr | 0211 27 40 00
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