Ein Königreich für ein Pferd? Nix da. William Shakespeares „Richard III“ ist in der entscheidenden Schlacht in Leicestershire am Ende seiner blutigen Straße ins Nirgendwo. Die moderne Automatikwaffe hat er da bereits seinem Lieblingsmörder Catesby in die Hand gedrückt mit den Worten: „Komm um Mitternacht und hilf mir.“ So richtig an einen Sieg gegen die Feinde aus Übersee (natürlich nur britischer Kanal) hat er also nicht geglaubt, schon gar nicht mehr nachdem seine Leichen aus dem Keller im Rheinischen Landestheater Neuss kamen und ihn traumatisch in die Hölle fluchten. Da bleibt nur noch das Elend in grauen Plastiktüten und der gnädige Vorhang.
Richard, der böse Bube, war der letzte britische König, der auf einem Schlachtfeld starb, und ist bei Schauspielern sehr beliebt, einmal wegen des blutigen Wahns, der ihn begleitete, hervorgerufen durch ungestaltete Figur und allgemeine Hässlichkeit, aber auch wegen der Ausschließlichkeit, die diese Rolle kennzeichnet. Da ist Richard, dann kommt König Richard, und das war es eigentlich auch schon für den Rest der großen Truppe. Eigentlich. In Neuss wertet Bettina Jahnke die Frauenfiguren entscheidend auf, gibt ihnen Raum für eigene, eigentlich so nicht vorgesehene Szenen, lässt sie durch esoterische Sphären schweben, am Ende sind ja doch fast alle tot.
Etwas statisch choreografiert sie die Mannschaft über die Bühne. Das ständige Auf und Ab vorm riesigen Faltenwurf-Vorhang wird durch geheimnisvolle Düsternis untermalt, die Zeitlosigkeit des Machtstrebens ist bereits optisch durch die 20-Plastiksack-Altkleidersammlung am Hof (schicke Bühne: Iris Kraft) gewährleistet, Licht liefern Kerzen und ein schicker dreistufiger Kronleuchter. Disharmonie ist es von Anfang an, dafür sorgt schon die schöne Soundspur von Bojan Vuletic. Nach der Pause – König Richard III (Philipp Alfons Heitmann) pieselt gerade in den Sektkübel, schließlich ist Warten das impotente Kind der Niederlage – wendet sich das Blatt, der „Agent der Hölle“ ist bereits verraten und verkauft.
„König Richard III“ | R: Bettina Jahnke | Fr 3.6., Di 14.6. 20 Uhr | Rheinisches Landestheater Neuss | 02131 269 90
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