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„Corpus Delicti“
Foto: Björn Hickmann/Stage Picture

Zweifel an der Zukunft

29. September 2016

„Corpus Delicti“ in Neuss – Theater Ruhr 10/16

Wenn das Deutschland sein soll – ein paar Jahrzehnte in der Zukunft. Dann kann man ja noch Hoffnung haben: Nazis sind da ausgerottet. Krankheit ist ausgerottet. „Das System“ hat die Kontrolle übernommen, und ob das eben Facebook oder Google heißt, sagt uns wieder niemand. In Hygienebereichen trifft man sich, aber Sex ist nur zur hygienischen Vervielfältigung erlaubt, Drogen eh nicht. Mist, dann doch lieber eine letzte Tüte in der Gegenwart.

Juli Zeh hat „Corpus Delicti“, diese Utopie, die Dystopie sein will, geschrieben,Bettina Jahnke bringt sie als Breitwand-Kammerspiel auf die Bühne desRheinischen Landestheaters in Neuss. Leere wird sein dereinst, Leere und Sessel im Nichts. Von links kommen die letzten Bürger, von rechts die Herrschenden, unfehlbar in Recht und Meinung, alles in Tateinheit mit mehreren Gewaltmonopolen. Sagte ich, dieNazis sind da ausgerottet? War wohl etwas optimistisch. Eine schöne neue Welt ist das nicht und auch nicht „1984“, nicht einmal ein bisschen „Clockwork Orange“. Einfach nur einfach gestrickt, Frau Zeh, wenn auch mit einer ausgefeilten Figur einer idealen Geliebten, Fremdkörper im roten Kleid (Johanna Freyja Iacono-Sembritzki), ausdrucksstark, bisweilen bizarr. Der Rest ist 1960er-Jahre-Science-Fiction-Standard über Überwachungsstaaten, ich erspare mir die Vorläufer aufzuzählen.

In Moers wird Moritz, Bruder der Biologin Mia, eines Sexualmordes angeklagt, den er natürlich nicht begangen hat, aber wegen eines Fehlers im System, das System hat also versagt, verurteilt und hingerichtet wird (zeitgenössische US-amerikanische Verhältnisse), das System kann das aber nicht zugeben, ist ja klar. Die Auseinandersetzung zwischen Mia (Linda Riebau) und Journalist Kramer (Andreas Spaniol) kann beginnen und bestimmt auch den interessant choreografierten Abend mit Video-Großportraits, Lichtsprüngen und schönen stillen Momenten im Kampf der Mia gegen die Gummiwände. Und dabei regieren schlicht die Dialoge, die neben juristischen Spitzfindigkeiten auch Existenzphilosophie und Widerstandsfolklore transportieren. Widerstand ist zwecklos. Ja wenn es denn wenigstens die Borg wären.

„Corpus Delicti“ | R:Bettina Jahnke | So 30.10.18 Uhr, Mo 31.10. 20 Uhr | Rheinisches Landestheater Neuss | 02131 26 99 35

PETER ORTMANN

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