Selten gilt das Prinzip der Oper „Und am Ende sind dann alle tot“ umfassender als bei Tschaikowskys „Pique Dame“. Die Eine stirbt an einem Herzschlag, die Andere stürzt sich in den Fluss und auch der anfängliche Held nimmt sich – gescheitert – schließlich das Leben. Doch glücklicherweise bedeutet der Tod in der Oper ja nicht unbedingt, dass die Figur nicht mehr auftreten könnte. Und so hat die 75-jährige Hanna Schwarz tatsächlich noch einen überaus starken Aufritt als Geist eines großen Stummfilmstars, dem der zweifelhafte Held ihr größtes Geheimnis entreißen wollte: Wie man jedes Kartenspiel gewinnt.
So viel kriminelle Energie hätte man dem schüchternen Nerd Hermann gar nicht zugetraut. Eher erregt er sogar Mitleid. Denn er ist verliebt in Lisa, die Verlobte eines Fürsten – also eigentlich ein unerreichbares Ziel für ihn. Außerdem hadert er offenbar mit seiner Spielsucht, verbringt eine ganze Nacht im Kasino, ohne selber zu den Karten zu greifen. Doch es ist keineswegs ein selbstgewählter Entzug aus einem Wunsch nach Heilung heraus: Hermann wartet im Gegenteil auf seinen großen Augenblick, in dem er seinen ultimativen Coup landen will. Doch zunächst scheint es doch ein Glück in der Liebe zu geben: Lisa erhört Hermann, doch heilen wird auch sie ihn nicht. Im Gegenteil: Der Stummfilmstar, die Gräfin, ist ihre Großmutter, und wird als Hüterin des ultimativen Zocker-Geheimnisses gar noch zu ihrer Nebenbuhlerin. Das ist so verworren, da kann man nur noch den Verstand verlieren – und die tödlich-tragische Geschichte nimmt ihren Lauf.
Lydia Steier hat Tschaikowskys russischen Adel ins Hollywood der 1950er Jahre verpflanzt. Das gibt Anlass für eine wirkungsvolle Poolparty-Kulisse mit knallbunten Kostümen (Bühne: Bärbl Hohmann, Kostüme: Ursula Kudrna) und eine wirkungsvolle Inszenierung der Gräfin als charismatische Filmlegende mit übergroßem Bild über dem Bett. Aziz Shokhakimov lässt als Dirigent keine Wünsche an diese große russische Oper offen, die Tschaikowsky als Antwort auf die „Grande Opera“ der Franzosen konzipierte. Ihm gelingt mit den Düsseldorfer Sinfonikern ein klanggewaltiges und wirkmächtiges Wechselbad der Gefühle.
Elisabeth Strid ist stimmlich so gar nicht das Mauerblümchen, zu dem sie die Maske ausstaffiert. Im Gegenteil weiß sie mit ihrem dramatischen Sopran zu beeindrucken. Hanna Schwarz erfüllt als Gräfin ihre besondere Rolle mit größtmöglicher Ausstrahlung: mal als strahlende, mal als diabolisch düstere Erscheinung. Die zentralen Männerrollen des Hermann sowie des Grafen Tomski sind mit Sergey Polyakov und Sergej Khomov sowie Alexander Krasnov und Stefan Heidemann jeweils alternierend besetzt. Dmitry Lavrovsingt einen dunkel timbrierten Fürsten Jeletzki.
„Pique Dame“ | 28.9., 16.10. je 19.30 Uhr, 3.10. 18.30 Uhr, 8.12. 15 Uhr | Theater Duisburg | 0203 28 36 21 00
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