Zunächst klingt es paradox. Mike Nelson, der hochgelobte britische Künstler, der zweimal in die Endauswahl zum Turner-Preis gewählt wurde und 2011 den englischen Pavillon auf der Biennale Venedig bespielt hat, zeigt in seiner ersten institutionellen Einzelausstellung hierzulande einen Raum, der nicht zu betreten ist. Einzig mit den Augen tasten wir die riesige Installation in den Dimensionen der Ausstellungshalle ab, sehen vom einen Ende zum anderen und müssen uns dabei am freien Rand bewegen, um alles zu erfassen. Nelson hat ein Geflecht aus Betonstahlnetzen geschaffen, das als lineares Koordinatensystem und trotz seiner Gewichtigkeit leicht und labil wirkt. In seinem losen Auslaufen erinnert es an eine transitorische Wolke und in seinen Außenformen an einen Schiffsrumpf. Mike Nelson selbst hat es (etwa auf der Einladungskarte) als Kontur einer Insel interpretiert und bezieht sich dabei auf eine Erzählung von Jules Verne, auf die er leitmotivisch immer wieder zurückkommt.
Die Gruppe der „Studio apparatus“ steht zentral in seinem Werk. Die erste Version ist 1998 in London entstanden, die Münsteraner Arbeit ist die fünfte derartige Installation. Ausgangspunkt sind die Offenlegung des Ateliers und die Privatheit der Produktion, die Vereinnahmung durch das Publikum und das Beharren auf dem Geheimnis. Das Nomadisieren, also Verlassen des Ateliers. Mit diesem Konzept und dem Anspruch der raumgreifenden Installation ist jedes dieser Werke autonom. In Münster nun arbeitet Nelson mit einfachen Baumaterialien, mit denen er zugleich den Arbeitsplatz, in Form von Holzkonstruktionen, im Inneren, inmitten der Stäbe konserviert. Auf und zwischen den Stäben sind einzelne Beton-Abgüsse von Köpfen zu sehen, die an eine Ahnengalerie denken lassen, aber doch für die Deutung offen bleiben. Schlaff herabhängende Halloween-Masken am einen Ende der Installation legen indes eine Fährte, welche eine spezifische Temperierung des Un-Ortes forciert.
Der Reiz dieser Ausstellung ist, dass sie auf den ersten Blick äußerst spröde, ereignislos wirkt, aber dann immer komplexer wird, sich zwischen Abstoßung und Anlockung verhält und den Betrachter, den sie so gar nicht an sich heranlässt, zur mentalen und physischen Aktivität verführt. Rohheit und Feingliedrigkeit sind zugleich eins... Die Ausstellung ist nur noch ein paar Tage zu sehen, aber das Wissen um sie wird für das Verständnis der demnächst nachfolgenden Installation in der Kunsthalle Münster wichtig – die dann ihrerseits das „Studio apparatus“ interpretiert. Jedenfalls, der Faden des begreifbaren und unbegreiflichen Raumes mit dem Künstler als Regisseur wird anschließend vertieft: Ab 23. März zeigen Oliver Breitenstein und Tassilo Sturm einen labyrinthisch angelegten begehbaren Raum, der die Ego-Shooter-Szenarien von (virtuellen) Computerspielen in die Realität übersetzt. Die Kunsthalle Münster bleibt den drängenden Themen verbunden.
Mike Nelson: „Studio apparatus for Kunsthalle Münster“ | bis 22.2. | Kunsthalle Münster | 0251 492 41 91
Oliver Breitenstein/Tassilo Sturm: „RTFM (Read the Fucking Manual)#“ | ab 23.3.-12.4. | Kunsthalle Münster | 0251 492 41 91
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