Seit mehr als 35 Jahren ist Jürgen Prochnow weltweit ein Star. Nachdem ihm Wolfgang Petersens „Das Boot“ 1981 den Durchbruch beschert hatte, drehte der 1941 in Berlin geborene und in Düsseldorf aufgewachsene Schauspieler auf der ganzen Welt. Nach Rollen in „Air Force One“, „The Replacement Killers – Die Ersatzkiller“ oder „The Da Vinci Code – Sakrileg“, sah man ihn in den letzten Jahren auch wieder häufiger in deutschen Produktionen. Zuletzt gehörten dazu „Die dunkle Seite des Mondes“ und „Kundschafter des Friedens“. Nun ist er in der Titelrolle in „Leanders letzte Reise“ im Kino zu sehen, der bundesweit am 21. September anläuft.
trailer: Herr Prochnow, nach „Remember“ spielen Sie nun auch in „Leanders letzte Reise“ schon wieder eine Figur, die fast 20 Jahre älter ist als Sie selbst. Da kann von Eitelkeit wohl keine Rede sein...
Jürgen Prochnow: Nein, ich glaube, das geht aber auch den meisten anderen Schauspielern so. Das Angebot einer solchen Rolle ist schon eine große Herausforderung. Sich technisch und auch künstlerisch in solch eine Figur zu verwandeln, die zwanzig Jahre älter ist, das hat mich sehr gereizt. Auch „Remember“ von Atom Egoyan war damals schon eine wunderbare Aufgabe und große Herausforderung für mich. Als ich das Buch zu „Leanders letzte Reise“ gelesen hatte, habe ich mit großer Freude angenommen. Ich war mir aber auch bewusst, weil es sich hier um einen deutschen Film handelte, dass ich nicht dieselben Voraussetzungen haben würde wie bei Egoyans Film, weil die Mittel in deutschen Produktionen im Vergleich natürlich sehr reduziert sind. Damit standen natürlich auch weniger Mittel für mein Spezial-Make-up und die entsprechende Altersmaske zur Verfügung. Aber ich hatte Glück, denn ich bin hier auf eine junge Maskenbildnerin gestoßen (Sylvia Grave; die Red.), mit der das Auftragen der Maske täglich nur zwei Stunden gedauert hat. Damit konnte ich dann an einem Zwölf-Stunden-Tag immerhin zehn Stunden drehen. Aber am Ende des Tages dauerte dann auch das Abnehmen der Maske wieder eine Stunde, insgesamt war das schon eine ganz schöne Herausforderung, besonders in meinem Alter.
Das Spezial-Make-up ist dennoch recht unauffällig, weswegen für Sie die Herausforderung eher darin bestanden haben dürfte, das fortgeschrittene Alter Ihrer Figur über deren Körperlichkeit, deren Gebrechlichkeit auszudrücken...
Richtig, ganz genau. Das war die Herausforderung, daran musste ich mich herantasten. Um das nachzuspielen, was mir als Maske sozusagen vorgegeben war, habe ich versucht, mich in diesen alten Menschen hineinzubegeben und mich in ihn zu verwandeln. Als Vorbild habe ich dafür beispielsweise meinen Großvater herangezogen. Der Gang, den ich mir für Leander angeeignet habe, habe ich mir bei meinem Großvater abgeguckt. Den hatte ich mir verinnerlicht. Am Anfang war ich noch unsicher, ob ich da zu viel oder zu wenig mache, aber dieses Herantasten gehört auch zum Beruf eines Schauspielers dazu, und ich fand das sehr spannend und aufregend, mich in einem Film in so jemanden zu verwandeln. Durch die Beschäftigung mit meiner Vergangenheit, die anknüpft an die Vergangenheit der Figur, die ich spiele, bin ich auf meine Großeltern und meinen Vater gestoßen, was mir sehr geholfen hat, mich in diese Figur zu verwandeln. Da kamen Dinge aus meiner Kindheit wieder hoch, zumal „Leanders letzte Reise“ ja auch eine Familiengeschichte ist, und ich habe versucht, das in meine Rolle einzubringen. Das waren sehr starke emotionale Momente, die sich in dem Augenblick in mir abgespielt haben.
Hat Ihnen die Doppelung dieser beiden sehr alten Rollen die eigene Sterblichkeit bewusster gemacht, haben Sie nun mehr über den eigenen Tod nachgedacht?
Ja, sicherlich auch. Aber es hat mich auch noch einmal zu den für mich prägenden Figuren wie meinem Großvater und meinem Vater zurückgeführt. Damit habe ich mich auch mit der damaligen Zeit noch einmal auseinandergesetzt. Ich bin ja 1941 geboren, war vier Jahre alt, als der Krieg vorüber gewesen ist. Ich bin im Nachkriegs-Berlin groß geworden und habe es geschafft, dank der Hilfe meiner Familie, zu überleben. Die Beschäftigung damit hat mich, in Anknüpfung an die Geschichte, die wir im Film erzählen, sehr berührt.
Der Film ist durch die Einbeziehung des Ukraine-Konflikts überaus aktuell. Wurde das Drehbuch kurz vor Drehbeginn deswegen noch aktualisiert?
Ja, richtig. Außerdem wusste man nicht, ob man vor Ort überhaupt drehen kann oder nicht. Der Ukraine-Handlungsstrang der Geschichte hatte auf einmal eine Bedeutung und wurde deswegen im Rahmen des Films noch präsenter gemacht als ursprünglich angedacht. Meine Frau wollte zunächst nicht, dass ich dorthin fahre, als ich das Angebot bekam. Dann habe ich mich erkundigt und erfahren, dass es zu der Zeit relativ ruhig dort war. Man hat uns versichert, dass in und um Kiew, wo wir gedreht haben, keine Gefahr bestünde, und haben dann dort tatsächlich ganz hervorragende Bedingungen vorgefunden. Aber wir haben eben auch nicht in Lugansk oder Donezk gedreht, was ungefähr 700 Kilometer von Kiew entfernt liegt. Das war für mich natürlich alles Neuland. Und auch die politische Situation, die ich nur aus den westlichen Nachrichten heraus kannte, wurde mir dort dann vor Augen geführt. Aber ich muss sagen, dass ich diesen Konflikt bis heute noch nicht voll verstanden habe. Die Annektierung der Krim war ja bereits geschehen, und wir waren zwei Jahre nach den Ereignissen auf dem Majdan vor Ort. Aber wir konnten die Barrikaden auf dem Majdan genauso nachbauen, wie sie in Wirklichkeit gewesen waren. Das ist ja mitten in der Stadt, und da kamen dann immer wieder Passanten vorbei, die die Genauigkeit des Nachbaus lobten. Das war sehr aufregend, Zeitgeschichte so unmittelbar mitzuerleben.
Die anfänglichen Bedenken waren beim Dreh dann aber nicht mehr vorhanden? Haben Sie sich immer sicher gefühlt?
Ja, die Bedenken wurden vor Ort dann zerstreut. Ich hatte während der Dreharbeiten nie ein Gefühl von Unsicherheit oder Bedrohung. Wir haben bis maximal 50 Kilometer außerhalb von Kiew gedreht, die eigentliche Kriegsregion liegt eben rund 700 Kilometer weiter entfernt. In Lugansk selbst zu drehen, wäre gar nicht möglich gewesen, weil es da viel zu gefährlich gewesen wäre.
Leander bereut am Ende seines Lebens, dass es noch unerledigte Dinge gibt, die er nun in Angriff nimmt. Haben Sie selbst auch noch eine Liste unerledigter Dinge, die Sie unbedingt noch tun wollen?
Eigentlich nicht, nein, das kann ich nicht sagen. Aber ich finde das an dieser Figur so ungeheuer spannend. Leander ist ein Mann, der 50 oder 60 Jahre seines Lebens geschwiegen und nichts von sich preisgegeben hat. Er hat das Erlebnis Krieg, und das, was damals mit ihm passiert ist, niemals überwunden. Das Zusammenleben mit seiner Familie in Deutschland muss sich deswegen in einer ziemlichen Kälte abgespielt haben. Eine ganz spannende Geschichte!
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