Sönke Wortmann wurde 1959 im nordrhein-westfälischen Marl geboren. Bereits sein Abschlussfilm wurde für einen Studenten-Oscar nominiert. Seitdem hat er mit Filmen wie „Allein unter Frauen“, „Kleine Haie“, „Der bewegte Mann“ oder „Das Wunder von Bern“ Publikumserfolge gefeiert. Nach der Tragikomödie „Sommerfest“ hatte er mit „Der Vorname“ erstmals das Remake eines französischen Films inszeniert. Auch sein neuer Film „Contra“ basiert auf einem französischen Original und wird am 28. Oktober in den Kinos anlaufen.
trailer: Herr Wortmann, ist es Zufall, dass Sie nach „Der Vorname“ nun bereits zum zweiten Mal einen französischen Film neu inszeniert haben?
Sönke Wortmann: Das ist reiner Zufall. Beide Filme hatten übrigens in Frankreich die gleichen Produzenten, und nachdem „Der Vorname“ hier so erfolgreich war, haben die uns „Die brillante Mademoiselle Neïla“ vorgeschlagen. Dann haben wir abgewartet, wie das Original bei uns im Kino lief – und das war ziemlich schlecht, weil er im Hochsommer rauskam, noch dazu während der Fußballweltmeisterschaft. Das war sehr bedauerlich. Aber wir fanden, dass er das richtige Thema zur richtigen Zeit behandelt, und haben den Stoff deswegen nochmal verfilmt.
Yvan Attal, der Regisseur des Originals, hat selbst einen Migrationshintergrund. Glauben Sie, dass er deswegen einen anderen Blick auf die Geschichte hatte?
Für die Inszenierung des Originalfilms kann es vielleicht einen Unterschied machen, aber bei einer Adaption sind ja bestimmte Punkte und Themen bereits gesetzt, die in diesem Fall natürlich von Attal kommen, vermutlich auch, weil er einen Migrationshintergrund hat. Uns hat das aber nicht beeinflusst. Ich habe das Original einmal gesehen. Als dann ein halbes Jahr später entschieden wurde, eine Adaption davon zu drehen, habe ich ihn mir auch kein zweites Mal angeschaut, sondern wollte, soweit es ging, auch Unterschiede setzen. Deswegen ist deren Professor relativ alt, unserer relativ jung. Dafür haben wir dann den Universitätsdirektor im Gegensatz zum Original relativ alt besetzt und haben einfach versucht, das Ganze auf Deutschland zu übertragen.
„Hier wird das richtige Thema zur richtigen Zeit behandelt“
Die Diskussion darüber, ob der Islam eine gefährliche Religion ist, kocht mit jedem Terroranschlag neu hoch. Wie kann man mit diesem Vorurteil erfolgreich brechen?
Durch Bildung, das ist meine feste Überzeugung. Und das geht nicht von heute auf morgen. Ich glaube, man muss klein anfangen, Vorurteile abbauen, Bildung ermöglichen, und gerne auch Schüleraustausche verstärken, wenn es Corona wieder zulässt.
Debattierclubs waren mir bislang hauptsächlich aus ausländischen Filmen bekannt. Was wissen Sie über die Verbreitung dieses Phänomens in Deutschland?
Es ist größer, als ich am Anfang dachte, als ich begann, mich damit zu beschäftigen. Wir sind davon ausgegangen, dieses Thema für Deutschland ganz neu erfinden zu müssen. Aber das war gar nicht so, das gibt es hier seit fünfzehn bis zwanzig Jahren auch. Es existiert sogar ein Verband der deutschen Debattierclubs, es ist schon ein erstaunlich weitreichendes Veranstaltungsformat. Das ist noch nicht im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit angekommen, aber an Universitäten weiß eigentlich jeder, was das ist. Ich finde, das ist eine ganz tolle Einrichtung, gerade heute, wo sich die Leute kaum mehr zuhören, finde ich super, das auf diese Weise wieder zu lernen.
Sind Sie selbst auch jemand, der gerne contra gibt oder sich auf hitzige Diskussionen einlässt?
Ich muss gestehen, dass ich eher harmoniebedürftig bin. Deswegen versuche ich, in meinem Leben Situationen so zu gestalten, dass ein Streit gar nicht erst aufkommt. Wenn er unvermeidbar wird, dann bin ich auch hart in der Sache, werde aber nie persönlich. Soviel zu meiner Streitkultur.
Christoph Maria Herbst spielt wieder grandios eine Arschloch-Rolle. Wie ist es Ihnen gelungen, dass die Figur am Ende doch sympathisch wirkt?
Christoph hat in seiner Karriere einiges dafür getan, um in der Komödienschublade zu landen. Es gibt Schlimmeres. Und als wir überlegt haben, wer denn das spielen könnte, sind wir sehr schnell auf ihn gekommen, trotz der Tatsache, dass man ihn eigentlich als Komödianten kennt. Ich glaube aber, dass gute Schauspieler alles können. Mein Lieblingsschauspieler war immer Jack Lemmon, der hat ja auch von knallharter Komödie bis Drama alles gespielt. Christoph hat sich sehr gefreut, dass er zeigen konnte, was er noch alles kann. So eine Figur muss man sehr klein spielen, die meisten Komödien funktionieren meiner Meinung nach ohnehin nur dann, zumindest die, die ich gut finde.
„Ich war selten so begeistert von der Arbeit eines Schauspielers“
Ich stelle mir vor, dass die Besetzung der Studentin deutlich schwieriger war. Wie und wann sind Sie denn auf die tolle Nilam Farooq gekommen?
Wir haben ein Casting gemacht mit ungefähr zehn jungen Darstellerinnen mit Migrationshintergrund, und sie war ganz einfach die beste. Auch beim eigentlichen Dreh war ich selten so begeistert von der Arbeit eines Schauspielers oder einer Schauspielerin wie bei ihr. Sie hat ja unglaublich viel Text, und in den sechs Wochen, in denen wir gedreht haben, hat sie sich nur einmal versprochen. Sie war also bestens vorbereitet, hat das natürlich auch als Chance erkannt, denn solch eine Rolle bekommt man ja auch nicht jeden Tag angeboten. Sie hat sich da sehr reingehängt, und obendrein ist sie auch noch Teamplayer und nimmt sich nicht zu wichtig.
Nach „Der Campus“ und „Frau Müller muss weg“ ist dies bereits Ihr dritter Film, der im Bildungssystem angesiedelt ist. Hat Bildung nach wie vor denselben Stellenwert in unserer Gesellschaft oder hat sich hier im Laufe der Zeit etwas verändert?
Ja, Bildung wird mittlerweile häufiger thematisiert. Bei „Frau Müller muss weg“ war das so mit dem Bildungssystem, aber hier geht es ja nicht so sehr darum. „Contra“ spielt an der Uni, aber mit dem System wird sich hier nicht auseinandergesetzt, die Themen Streitkultur und Rassismus stehen eher im Vordergrund. Aber ich würde das jetzt nicht überbewerten. Bildung ist aber ein wichtiges Thema, und wird deswegen auch immer wieder diskutiert werden.
Außer mit „Charité“ haben Sie bislang kaum fürs Fernsehen gearbeitet. Würde Sie serielles Erzählen wieder reizen, eventuell auch einmal für eine der boomenden Streamingplattformen?
Das Format ist für mich nicht entscheidend, ich gehe immer nur nach den Stoffen, die mich interessieren. Ich bevorzuge zwar Kino, weil es für mich schon die Königsdisziplin ist, einen Film auf der großen Leinwand zu sehen und ihn dafür herzustellen. Denn wenn die Leute im Kino sind, dann bleiben sie meist auch und lassen sich die Geschichte zu Ende erzählen. Zuhause gibt es die Fernbedienung. Als Regisseur finde ich das Kino deswegen wesentlich befriedigender. Wenn es aber ein Format gibt wie „Charité“, das ganz klar als Fernsehserie angelegt war, dann habe ich das auch sehr gerne gemacht. Streaming könnte ich mir auch vorstellen, sowohl seriell wie auch als Film, aber es kommt letzten Endes immer auf den Stoff an.
Hat Corona in den letzten Monaten Ihr Schaffen eingeschränkt oder haben Sie sich wieder eher aufs Schreiben konzentriert?
Ich persönlich hatte Glück, weil es mich bisher nicht getroffen hat. Ich wollte in diesem Jahr mal keinen Film drehen, sondern schreiben. Das habe ich auch gemacht, und hatte dafür wesentlich mehr Zeit, als mir eigentlich lieb war. Aber die Branche insgesamt hat es natürlich sehr hart getroffen, und man weiß noch nicht, wie das ausgeht und welche Kinos im nächsten Sommer noch da sind.
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