Wer diese Inszenierung wirklich durchdringen will, der sollte die Augen offen halten – möglichst schon bevor er das Theater betritt. Denn die vier überlebensgroßen Steinfrauen über dem Hauptportal werden ihm auf der Bühne gewissermaßen wieder begegnen. Ein wenig modifiziert als Madonna, aber erkennbar im Stile der besonders in Hagen sehr bekannten Bildhauerin Milliy Steger. Hagens Stammregisseur Roman Hovenbitzer mag solche Anspielungen, die vielen ZuschauerInnen überhaupt nicht auffallen, denen, die sie entdecken, dafür umso mehr Spaß machen.
Dabei geht es in dieser Inszenierung von Puccinis „Tosca“ eigentlich so gar nicht vergnüglich zu. Es geht um Sex, Macht, Gewalt und Tod. Wirklich? Oder nur als Theaterdonner? Ganz eindeutig lässt sich die Frage nicht beantworten. Die Grenzen verschwimmen in dieser als Theater auf dem Theater angelegten Inszenierung – als Theater auf dem Theater Hagen.
Hovenbitzers Regie und geht Hand in Hand mit dem wirkungsvollen, sich zunehmend klaustrophobisch zuspitzenden Bühnenbild Hermann Feuchters. Mag das mächtig große Kreuz als zentrales Element auch keine wirklich neue Idee für die Tosca sein – es funktioniert sehr gut.
Die Solistenriege vermag ebenso zu überzeugen: Veronika Haller als Tosca mit glockenklarem, dramatisch tragfähigem Sopran und eindringlicher Gestaltung, Xavier Moreno mit viel Leidenschaft und italienischem Schmelz als Caravadossi und Karsten Mewes als kraftvoll sinistrer Scarpia.
Die Regie verlangt den Darstellern einiges ab. Prinzipiell ist das gut, geht aber zuweilen auch etwas zu weit. Wenn Hovenbitzer das Liebespaar Tosca/Caravadossi sein großes Duett erst im Stehen, dann auf einem Stuhl und schließlich auf dem Boden singen lässt, ist das eindeutig zu viel des Guten. Gut besetzt sind indessen auch die kleineren Rollen mit Kenneth Mattice (Angelotti), Rainer Zaun (Mesner) und Richard van Gemert (Spoletta).
Mit dem neuen Generalmusikdirektor Joseph Trafton, der mit dieser Tosca seinen überzeugenden Operneinstand in Hagen gab, fühlen sich die Sänger spürbar wohl und bekommen aus dem Orchestergraben bestmögliche Unterstützung. Die Zielgenauigkeit, mit der der 40-Jährige den Sängern genügend Raum gibt und das Orchester in den rechten Momenten auch entfesselt, ist beeindruckend. Denn der Grat ist schmal im kleinen Theater zwischen einem Orchesterklang, der die Sänger erschlägt, und einer vorsichtigen Zurückhaltung, die die Kraft der Musik erstickt. Die rechte Balance dazwischen ist überaus heikel. Hier gelingt sie.
Auch mit dem Chor (Leitung: Wolfgang Müller-Salow) weiß Trafton aufmerksam und wertschätzend umzugehen. Die „aus der Ferne“, also unsichtbar hinter der Bühne, eingesungene Festkantate mit Tosca im zweiten Akt ist in Überblendung mit der Verhörszene auf der Bühne ein akustisches Meisterstück.
„Tosca“ | R: Roman Hovenbitzer | So 2.9. 15 Uhr, Do 6.9. 19.30 Uhr | Theater Hagen | www.theaterhagen.de
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