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Zita Gaier als Christl in „Maikäfer, flieg!“
Bild: W-film / Oliver Oppitz

„Was es heißt, Kind im Krieg zu sein“

18. April 2017

Mirjam Unger über ihre Literaturverfilmung „Maikäfer, flieg!“ – Gespräch zum Film 04/17

Mirjam Unger (46) hat mit „Maikäfer, flieg!“, der Verfilmung des autobiografischen Romans der bekannten Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger, das die Nöte einer Familie im zerbombten, von Russen besetzten Wien im April 1945 aus der Sicht eines Kindes erzählt, in Österreich bereits mehrere Nominierungen eingeheimst. Am 27. April kommt der Film in die deutschen Kinos.

trailer: Frau Unger, wie sind Sie auf die Idee gekommen, das autobiografische Kinderbuch von Christine Nöstlinger zu verfilmen?
Mirjam Unger
: Im Wiener Rabenhoftheater wurde 2012 der Lyrikband „Iba de gaunz oamen Leit“ („Über die ganz armen Leute“) von Christine Nöstlinger aufgeführt, ihr einziges Buch für Erwachsene, mit Uschi Strauss und Gerald Votava in den Hauptrollen. Ich war so begeistert, dass ich wieder das Nöstlinger-Lesen angefangen habe, und bin auf „Maikäfer, flieg!“ gestoßen, das ich in meiner Kindheit nicht gelesen hatte. Die Buchhändlerin sagte damals, es sei für Kinder und Erwachsene. Ich fand darin die Ereignisse zu Kriegsende 1945 in Wien geschildert, wie ich sie so noch nie gehört hatte, aus der Sicht der Zivilbevölkerung, der Sicht eines gescheiten, sturen und humorvollen Kindes – grandios.

Es geht um die Sorgen und Nöte einer Familie inmitten von Kriegswirren – auch ein heutiges Thema?

Miriam Unger
Foto: Pamela Russmann
Miriam Unger (*1970) studierte von 1993 bis 2001 Regie an der Filmakademie Wien, während sie auch als Moderatorin arbeitete. Neben Fernseharbeiten drehte sie mit „Vienna’s Lost Daughters“ (2007) und „Oh Yeah, She Performs“ (2012) zwei Kino-Dokumentarfilme.

Das war der zweite wichtige Grund, warum wir uns an die Verfilmung gemacht haben. Wir befinden uns mitten in wiederum turbulenten, chaotischen Zeiten. So vieles aus dem Buch, das 1945 angesiedelt ist, hat mit Umbrüchen, Unsicherheit und politischem Chaos zu tun. „Maikäfer, flieg!“ hat viel mit heute zu tun, ist quasi eine historische Metapher.

Was zeichnet den Charakter der Hauptfigur Christl aus?
Christl ist ein überaus reifes, gescheites, stures neunjähriges Kind. Und sie lässt sich nichts von den Erwachsenen erzählen, alles muss sie selber nachprüfen. Sie bildet sich ihr eigenes Urteil und geht möglichst vorurteilsfrei an alles und jeden heran. Sie verlässt sich auf ihr Bauchgefühl und ihren eigenen Kopf. Das führt oftmalig dazu, dass sie sich in Gefahr begibt, weil sie es eben wirklich wissen will.

Sie haben selbst das Drehbuch mit Sandra Bohle verfasst, wie war der Schreibprozess?
Wir hatten viel Respekt vor Christine Nöstlinger und ihrer Romanvorlage. Wir haben den Dialog möglichst 1:1 aus ihrem Buch entnommen und auch sonst wenig verändert. Nur kürzen mussten wir. Der Roman ist zu lang für den Kinofilm, der Roman entspricht der Serie. Für den Spielfilm ist die Novelle oder Kurzgeschichte geeignet. Wir haben uns schweren Herzens von ein paar Figuren und Kapiteln trennen müssen für das Drehbuch und uns auf die Freundschaft zwischen Christl und dem russischen Koch Cohn konzentriert.


Christl mit Vater (Gerald Votava) und russischen Soldaten, Bild: W-film/Oliver Oppitz

Sie waren in Kontakt mit Christine Nöstlinger – wie stand sie zu dem Projekt?
Wir haben sie während des Drehbuchschreibens mehrmals getroffen und in langen Gesprächen Hintergrundgeschichten zu ihrem autobiografischen Roman erfahren. Sie hat viele persönliche Erinnerungen über ihre Familie, die im Roman vorkommt, mit uns geteilt. Das waren wunderbare Stunden, denn mit Nöstlinger zu sprechen ist mindestens genauso spannend und unterhaltsam wie Nöstlinger zu lesen. Für die Schauspieler haben wir in diesen Gesprächen viele wertvolle Informationen erhalten.

War es schwierig, die passenden Schauspieler zu finden? Speziell für die Kinderrollen?
Es war für mich wichtig, dass Uschi Strauss und Gerald Votava mitspielen, da sie an der Idee, „Maikäfer, flieg!“ zu verfilmen, beteiligt waren. Vor allem Gerald Votava, der den Kontakt zu Nöstlinger hergestellt und eine Zeitlang als Dramaturg mitgearbeitet hat. Er spielt im Film den aus russischer Kriegsgefangenschaft heimkehrenden Vater. Die Kinder fand ich einerseits über Castings, andererseits durch Zufälle. Christl wird von Zita Gaier gespielt, der jüngeren Schwester von Lino Gaier, der den kleinen Gerald darstellt. Ich war verzweifelt auf der Suche nach unserer Christl, da fand ich Lino, der bei seinem Casting ausgezeichnet war, und fragte ihn danach: ‚Sag, hast du Geschwister?‘ Er: ‚Ja, mehrere. Auch eine Schwester, sie ist neun und urnervig.‘ Ich: ‚Darf ich sie kennenlernen?‘ So fand ich Zita...

Die Szenen in der Wiener Villa wurden in Südtirol gedreht, die Fahrt von Christl und Cohn durch das zerstörte Wien in einem alten Fabrikgelände. Wie haben Sie die Locations gefunden?
Wir konnten die Finanzierung für den Film mit der tollen Südtirol-Filmförderung schließen und beschlossen daraufhin, in alten Südtiroler Villen zu drehen, die sich für Wien 1945 hervorragend eignen. Das haben wir mit Schauplätzen in Wien und Niederösterreich kombiniert. Das fügte sich gut zusammen mit Hilfe von sachten digitalen Einarbeitungen historischer Fotos vom zerstörten Wien 1945. Die Szenenbildnerin Katharina Wöppermann und ihr Team haben auch Großartiges geleistet.

Was waren Herausforderungen beim Dreh?
Die Hitze, denn es hatte im Sommer 2015 45 Grad, die Kondition aller Beteiligten und das hohe Drehpensum. Wir drehten einen historischen Film in nur 35 Tagen. Jedes Detail muss stimmen, da muss man schon sehr genau arbeiten. Wir mussten aufpassen, dass unter Zeitdruck keine Fehler passieren. Parallel zu den Dreharbeiten fanden die großen Flüchtlingsströme statt. Das heißt, der Krieg in der Realität und der Krieg im Film schoben sich ineinander, das war spooky.

Kamera hat Eva Testor gemacht – Kamerafrauen sind leider immer noch selten in der Branche – wie war die Arbeit mit ihr?
Eva Testor ist meine wichtigste Vertrauensperson bei der Filmarbeit. Wir haben schon gemeinsam studiert und wir funktionieren ohne Worte. Wir ergänzen und stärken uns. Wir stehen beide für einen emotionalen und intuitiven filmischen Zugang bis zuletzt, trotz Planung und großer Maschinerie rund um uns. Wir können einen künstlerischen Nukleus aufbauen und ausstrahlen, dafür bin ich sehr dankbar.

Der Film hat mehrere Romy-Nominierungen bekommen. Wie ist das für Sie?
Am meisten freue ich mich über den großen Publikumszuspruch allen Alters. Wir haben immer gesagt: ‚Wir machen einen Film von 9-99, damit die Generationen darüber kommunizieren, was es heißt, Kind im Krieg zu sein, oder wie Improvisation im Chaos geht.‘ Das ist uns gelungen und das ist die größte Ehrung.

Interview: Katja Sindemann

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