Die 1979 in Berlin geborene Regisseurin und Drehbuchautorin Laura Lackmann arbeitete als Assistentin bei internationalen Kinoproduktionen und studierte Kunstgeschichte und Geschichte, bevor sie das Fach Regie an der dffb belegte. Nach preisgekrönten Kurzfilmen ist „Mängelexemplar“ ihr erster langer Spielfilm. Im Mai beginnt sie mit den Vorbereitungen zu ihrem zweiten Kinofilm „Die sachliche Romanze“; im Juni erscheint ihr Romandebüt „Die Punkte nach dem Schlussstrich“.
trailer: Frau Lackmann, kannten Sie das Buch schon, bevor es als „Adaptionsmaterial“ für Sie in Betracht kam?
Laura Lackmann: Ja, ich hatte es von einer Freundin bekommen. Der Roman ist ja ein Bestseller, aber die Dunkelziffer noch sehr viel höher. Weil er zwischen Frauen weitergereicht wird wie Aspirin.
Wie wurde es dann zu Ihrem Langfilm-Debüt?
Ungefähr zwei Jahre danach ist die Produktionsfirma Boje Buck auf mich zugekommen, die die Rechte am Roman hatte. Für die arbeitete ich zu der Zeit an einem anderen Projekt, und sie fanden, ich hätte eine ähnliche Art zu schreiben. Es ist ein Buch, das sich zunächst sehr filmisch liest, aber wenn man versucht, einen Film daraus zu machen, merkt man, dass gar kein Drehbuch drin steckt. Das hat uns alle überrascht. Es spielt einfach viel im Kopf von Karo, der Protagonistin, und wie sie sich fühlt. Die Figuren haben auch keine Stringenz, sie tauchen auf und verschwinden wieder.
Warum haben Sie das Projekt angenommen?
Als Anfänger eine Bestseller-Verfilmung zu machen war eine Riesenchance. Der zweite Grund war ein persönlicher. Ich bin selbst wegen Depressionen zur Therapie gegangen und kenne in meinem Umfeld viele, die damit zu tun hatten. Die Gelegenheit so eine Geschichte erzählen zu können, war für mich wie ein Kreis, der sich schließt. Ich hatte das Gefühl, dass sich alle Tränen, die geweint worden sind, gelohnt haben. Denn ich hoffe, dass ich durch meine persönliche Erfahrung, die ich ins Projekt gebracht habe, auch anderen Leuten helfen kann. Ich habe versucht, den Film so haptisch und fantasievoll zu machen, damit auch ein Außenstehender, der nichts mit Depressionen zu tun hat, einen Eindruck davon bekommt, was da so abgeht im Kopf.
Eine ausführliche Recherche zum Thema Depression war also nicht nötig?
Ich habe noch Dokumentarfilme gesehen, gelesen und mit Ärzten gesprochen. Aber ich kannte das Spektrum aus persönlicher Sicht ziemlich gut.
Haben Sie sich je gefragt, ob man auf so eine flapsige, humorvolle Weise von Depression erzählen darf?
Nein. Wir lachen ja mittlerweile auch über Hitler im Film. Außerdem gibt es ja sogar Therapieansätze, die auf Humor angelegt sind. Wo man einen Schritt zurücktritt, sich ad adsurdum führt und dann über sich selbst lachen kann. Dann wird es einfacher, mit der Krankheit umzugehen. Ich fand das auch für meinen Film eine gute Herangehensweise. Er ist ja nicht nur komisch, sondern hat viele verzweifelte Stellen. Ich glaube, wenn man Leute erreichen will, muss man eine Balance finden, damit sie sich zwischendurch beim Lachen erholen können.
Sowohl das Buch als auch Ihr Film sind klar pro Psychopharmaka. Ist das nicht problematisch?
Für mich nicht. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass das eine Möglichkeit sein kann, mit Depressionen umzugehen. Durch Menschen in Weiß und Medikamente wird außerdem klarer, dass es tatsächlich eine Krankheit ist, die man behandeln kann – und keine Laune. Das hat eben nicht nur mit Sozialisierung zu tun, sondern auch mit Chemie im Körper. Aber bei Karo liegt die Lösung ja nicht nur im Medikament. Sie verbündet sich ja am Ende mit ihrem inneren Kind und schafft es so, sich selbst anzunehmen.
Dieses „innere Kind“ kommt im Roman gar nicht vor. Bei Ihnen tritt es sogar als Figur auf.
Es geht ja immer darum, für seine Figuren Antagonisten zu schaffen. Bei Karo ist es ganz klar sie selbst. Die Frage war, wie man das am besten darstellt. Und als ich an ihrer Charakterisierung schrieb und Umstände zusammentrug, an denen sie krankt, stellte ich fest: Alle Eigenschaften, die es ihr im Leben schwierig machen, sind die eines Kindes. In dem Buch „Die Aussöhnung mit dem inneren Kind“ geht es darum, dass innere Zerrissenheit eben genau daher kommt. Karo hat nie gelernt richtig erwachsen zu werden. Nicht, weil sie immer noch ein unerzogenes Kind ist, sondern weil sie keinen Erwachsenen um sich hatte, der ihr beigebracht hat, wie man Verantwortung für sich übernimmt. Und das heißt eben auch, für seinen „schwachen, kindlichen“ Teil einzustehen und ihn anzunehmen.
Sie haben sich in einem Essay* kritisch mit Literaturadaptionen auseinandergesetzt. War die Arbeit am Drehbuch schwierig?
Ja. Allein schon, weil es mein erstes war. Ich bin ja eigentlich Regisseurin, nicht Drehbuchautorin. Und es dauerte lange, bis ich verstand, dass der Roman kein Filmstoff ist. Ich bin Lehrerkind und musste mich erst trauen, den Roman zur Seite zu schieben und einen Film daraus zu machen.
Gab es eine Zusammenarbeit mit Sarah Kuttner?
Wir haben anfangs eine gemeinsame Sitzung gehabt. Aber Sarah sagte relativ schnell, dass sie vom Drehbuchschreiben keine Ahnung habe und sich lieber heraushalte. Ich fand das stark, denn das war sicher schwer. Man hat da ein gemeinsames Kind und kennt sich nicht mal.
Haben Sie bei der Arbeit am Drehbuch schon parallel die Regie im Kopf entwickelt?
Ja, man hat die Dinge vor Augen und möchte, dass es endlich haptisch wird. Einen Drehort finden, mit Schauspielern sprechen, ein T-Shirt aussuchen. Ich fing schon früh an, Kostüme, die mir gefallen haben, einfach zu kaufen. Fotos von Orten oder „moods“ zu sammeln. Ich hatte, als es dann losging, schon Ordner und kistenweise Sachen parat.
„Die Bebilderung ist das Problem“, sagen Sie in Ihrem Essay. Sind Sie dieses Projekt mit einem festen Konzept angegangen?
Der Film ist sehr fantasievoll und auch extra so geschnitten, dass man in einem „durchrutscht“. Das ist schon sehr konzipiert. Durch Verzögerungen bei der Finanzierung hatten wir alle lange Zeit, uns vorzubereiten und ins Detail zu gehen. Bilder zu finden ist für mich überhaupt nicht schwierig. Das Problem liegt vielleicht eher bei den Rezipienten, die sich beim Lesen etwas anderes vorgestellt haben als ich.
Sie waren bei dem Stoff ja auch erst Rezipientin. War es schwierig, die Figuren aus Ihrem Kopfkino dann mit realen Schauspielern zu besetzen?
Bei mir ist es so: Wenn ich einen Roman lese, der mich wirklich mitnimmt, stelle ich mir immer mich selbst vor. Selbst wenn der Protagonist ein Mann ist. Das passiert automatisch. Ich habe keine Schauspieler vor Augen, wenn ich etwas privat lese. Wenn man dann die perfekte Besetzung sucht, schaut man sich natürlich erst mal die Autorin selber an, gerade wenn sie so prominent ist wie Sarah Kuttner. Claudia Eisinger und Sarah Kuttner sind sich bis auf Augen und Haarfarbe nicht besonders ähnlich, aber die Energie stimmt, und das ist ja am Ende was zählt.
Ihrer Erfahrung nach: Bedeutet eine Adaption mehr Einschränkung oder hilfreiche Struktur?
Ich glaube, es ist immer einfacher, wenn Dinge schon vorgegeben sind. Man kennt das schon aus der Schule: Wenn man einen Aufsatz schreibt, in dem „Auto“, „Blume“ und „Himmel“ vorkommen sollen, ist das einfacher, als wenn man ein leeres Blatt Papier vor sich hat. Andererseits muss man Mumm haben, um manche Dinge zu verwerfen oder zu sagen, das könnte man auch anders machen.
Mal abgesehen vom Marktpotenzial: Warum sollte man Bücher überhaupt in Filme verwandeln?
Weil es Geschichten gibt, die man dann so noch mal anders konsumieren kann. Man könnte ja auch ein Bild daraus machen oder ein Musikstück. Es ist eine Interpretation. Ich finde, man sollte es einfach nicht vergleichen. Es ist ja schon etwas ganz anderes, über vier Wochen im eigenen Bett ein Buch zu lesen, das einen jeden Tag begleitet, auch mit seinen Stimmungen, oder am Wochenende mit einer Freundin ins Kino zu gehen.
Die Gefahr der Enttäuschung ist trotzdem immer gegeben.
Man darf als Zuschauer nicht erwarten, das Buch als Film zu sehen. Man schiebt ja kein Papier, sondern eine DVD in den Player, es ist einfach was anderes. Natürlich war die Verfilmung von „Der Herr der Ringe“ nicht so wie in meinem Kopf, als ich das Buch mit 16 gelesen habe. Trotzdem war es doch interessant zu sehen, was sich ein anderer vorgestellt hat. Absurd wird es dann bei dem Remake, weil dann keiner mehr ans Buch denkt, sondern sich alle auf einmal einig sind, dass niemand ein besserer „Legolas“ sein kann als Orlando Bloom.
Im Juni erscheint Ihr erster eigener Roman. Würden Sie den zur Adaption freigeben?
Es sind schon einige Leute um mich herum ganz gespannt, ob es wohl Kinostoff sein könnte. Und ich überlege die ganze Zeit: Würde man so was selber machen wollen? Oder es besser abgeben? Ich fände es ganz interessant, wenn es vielleicht sogar jemand anders machen würde. Das muss dann aber jemand sehr, sehr, sehr sympathisches sein.
Dazu gehört auch Mut …
Mit Sarahs Buch habe ich mich tatsächlich sechs Jahre beschäftigt. Wenn man die Gelegenheit hat, dass sich jemand sozusagen beruflich mit einem auseinandersetzt und dem, was man gemacht hat, dabei kann doch etwas Interessantes herauskommen.
* Lesen Sie Laura Lackmanns Essay über Literaturverfilmungen im Archiv der „taz“: http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=fl&dig=2012%2F10%2F06%2Fa0030&cHash=32b4949665210641af8d08ef830cf498
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