Das künstlerische Werk von Anna Oppermann ist legendär – und zwar weil es schon vor einem halben Jahrhundert gesellschaftliche und soziale Fragen thematisiert hat, die heute superaktuell sind. Und weil es früh vollendet war. Geboren 1940, ist Anna Oppermann bereits 1993 gestorben. Sie hat nicht so viele große Installationen hinterlassen, auch deshalb, weil sie jahrelang an den additiven Kompositionen aus hunderten Einzelteilen an Zeichnungen, Fotografien, winzigen Malereien, Textzetteln, Zeitungsausschnitten und vorgefundenen Objekten gearbeitet hat, die von der Wand aus in den Raum wuchern: Die Entgrenzung der Form, die in den 1960er und 1970er Jahren allenthalben propagiert wurde, hat Anna Oppermann ebenso vorgenommen wie die Zusammenführung von Kunst- und Lebenssphäre. Ihre Werke vereinen autobiografisches und öffentliches Ereignis; sie wenden sich dem Stillleben ebenso wie dem Interieur zu, auch als Fenster in die häusliche Welt.
Zwei der hoch fragilen, aufwändig aufzubauenden Ensembles sind nun in der Kunsthalle Bielefeld zu sehen, darunter das vielleicht bedeutendste, „Künstler sein (Zeichnen nach der Natur, zum Beispiel Lindenblütenblätter)“, das 1977 auf der documenta ausgestellt war. Ein Motiv verweist auf das andere, einzelne Begriffe kehren an unterschiedlichen Stellen wieder und werden so vertieft, textliche Theorie und Anschaulichkeit überlagern sich. Die Darstellungen handeln von der Stellung der Frau in der von Männern dominierten Gesellschaft, vom Künstlerberuf und dem Überleben mit dem, zumal als Mutter, und allgemein von den sozialen Verhältnissen in Deutschland zu der Zeit.
Die Ausstellung in Bielefeld umfasst aber auch die frühen, Pop Art, Neue Ornamentik und Realismus vereinenden Malereien der Hamburger Künstlerin. Sie destillieren noch die Themen und Motive der Ensembles und sprechen bereits, mit den Mitteln der Malerei, deren Verfahren und Strategien an: sei es die Schachtelung von Bildern im Bild, den direkten Einbezug des Betrachters, dazu die Wechsel der Wahrnehmungsperspektive und die Verdeutlichung von Körpergefühl und Raum. Zu sehen auf einer Etage in der Kunsthalle, nur noch für ein paar Wochen.
Anna Oppermann. Künstler sein | bis 28.7. | Kunsthalle Bielefeld | 0521 32 99 95 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Noch gemalt
„Zwischen Pixel und Pigment“ in Herford und Bielefeld – Kunst in NRW 09/24
Das aktuelle Museum
Monica Bonvicini in der Kunsthalle Bielefeld – Kunst in NRW 11/20
Lust und Laster
„Der böse Expressionismus“ in Bielefeld – Kunst in NRW 02/18
Europäer in Amerika
Hans Hofmann in der Kunsthalle Bielefeld – Kunst in NRW 02/17
„Hommage an die einstige Subkultur, aus der sie kommt“
Mit drei Weggefährten: Die Musikerin Anohni kuratiert ihre Ausstellung in Bielefeld – Sammlung 08/16
Angewandt frei
Sophie Taeuber-Arp in der Kunsthalle Bielefeld – Kunst in NRW 03/15
Zum Ausklang des 19. Jahrhunderts
Eine Ausstellung zum deutschen Symbolismus in der Kunsthalle Bielefeld – Kunst in NRW 06/13
Tony Smith
Ausstellung in der Kunsthalle Bielefeld
Planet Picasso
Ausstellungen in Köln, Bielefeld und Münster - Kunst in NRW 10/11
Richter daheim
Gerhard Richter im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 11/24
Menschen allein
Lars Eidingers Ausstellung „O Mensch“ in Düsseldorf – Kunst in NRW 10/24
Farbe als Ereignis
Katharina Grosse im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 07/24
Farbe an Farbe
Otto Freundlich und Martin Noël in Bergisch Gladbach – Kunst in NRW 06/24
Am Anfang der Abstraktion
Hilma af Klint und Wassily Kandinsky in Düsseldorf – Kunst in NRW 05/24
Glaube und Wissenschaft
Louisa Clement im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 04/24
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Ritt durch die Jahrhunderte
Die Neupräsentation im Kunstpalast in Düsseldorf – Kunst in NRW 02/24
Ende eines Jahrhunderts
George Minne und Léon Spilliaert in Neuss – Kunst in NRW 01/24
Puls des Lebens
Chaïm Soutine im K20 in Düsseldorf – Kunst in NRW 12/23
Ganz leicht
Christiane Löhr im Bahnhof Rolandseck – Kunst in NRW 11/23
Die stille Anwesenheit der Dinge
Cornelius Völker im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 10/23
Aus anderer Perspektive
Szenenwechsel der Sammlung im K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 09/23
Kunst und Umgebung
„Produktive Räume“ in Haus Lange Haus Esters in Krefeld – Kunst in NRW 08/23
Dialog auf Gegenseitigkeit
„yours truly,“ im Museum Schloss Morsbroich – Kunst in NRW 07/23