Wer sich der Tanzkunst verschreibt, weiß, dass in diesem Gewerbe niemand auf Rosen gebettet ist. Die öffentliche Hand mag den Bereich der Freien Szene nicht als Alleinunterhalter finanzieren. Das ist verständlich, zumal NRW stets die engagierteste Tanz-Förderung in Deutschland praktiziert hat. Als die Mittel knapper wurden, verwandelte sich der Begriff „Vernetzung“ in ein Zauberwort, mit dem die Finanztöpfe untereinander angeschlossen werden sollten, bundesweit und möglichst auch über nationale Grenzen hinweg. Die Tänzer wurden aufgefordert, selbst ihre Netzwerke zu knüpfen. Die Kompanien sind umtriebig, suchen sich das Geld für ihre Arbeit von überallher. Da wird in einem Bundesland produziert, in einem anderen findet die Premiere statt, und im dritten ist die Residenz untergebracht.
Flexibilität ist notwendig zum Überleben, „denn die Bereitschaft der Veranstalter, sich auf Experimente einzulassen, hat in den letzten Jahren spürbar abgenommen“, erklärt Mechtild Tellmann, die gemeinsam mit Alexandra Schmidt das Projekt tanz.tausch ins Leben rief. Das entwickelte sich prächtig, steht aber jetzt vor dem Kollaps. Die Idee entsprang der Tatsache, dass sich die beiden lebendigsten Tanz-Szenen in Berlin und NRW befinden. Die Ästhetik der Choreographen ist vollkommen unterschiedlich ausgerichtet; gerade diese Tatsache macht einen Dialog zwischen beiden Kulturräumen so interessant.
Ein Modell, wie gemacht für die Fantasie beflissener Fördergremien. Aber kaum ist die Sache angelaufen, stoppt das Land NRW seine Unterstützung, und Berlin ist noch in komplizierten Entscheidungsprozessen verstrickt. Dabei funktionierte die erste Runde des tanz.tauschs glänzend. Die Gastspiele der CocoonDance Company, von Silke Z. und Morgan Nardi brachten Choreographen aus Bonn, Köln und Düsseldorf an die Spree. Dort stehen mit Dock 11, der Tanzfabrik in der Kastanienallee und der Hochschule Ernst Busch interessante Orte für die Künstler aus dem Westen bereit. Die Aufmerksamkeit in der Tanzwelt war groß, und im Ausland horcht man ebenfalls auf, wenn sich in Deutschland etwas bewegt, denn auch die europäischen Netzwerke bleiben in ihrer Dichte überschaubar.
Berlin ist in seine Hauptstadtrolle hineingewachsen, eine ständige Vertretung in dieser internationalen Szene zu haben, kann NRW nur von Nutzen sein. Am Rhein hat man hingegen den Berlinern – deren Gegenbesuch in diesem Jahr ansteht – auch allerhand zu bieten. So können sie im Tanzhaus NRW in Düsseldorf auftreten, in der Wachsfabrik im Süden Kölns und dem Bonner theaterimballsaal. Vor allem gibt es in NRW ein interessiertes Publikum, das man in Deutschland nirgendwo sonst findet. Dafür hat das Land viel getan, nur droht man jetzt wieder in einen Zustand zurückzufallen, in dem sich die längst überwundene Strategie des „jeder für sich und das Geld gegen alle“ wieder breitmacht. Ein Dialog zwischen dem Rheinland und Berlin, davon profitieren alle. Nur darf man bei solchen Unternehmungen, wenn sie denn einmal in Bewegung geraten sind, nicht auf halber Strecke wieder aufgeben.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Im Kreisrund sind alle gleich
4. Ausgabe des Festivals Zeit für Zirkus – Tanz in NRW 11/24
War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24
Supergau?
Die TanzFaktur steht wieder einmal vor dem Aus – Tanz in NRW 09/24
Kaffee, Kuchen, Stacheldraht
12. Tanz.Tausch Festival in der Kölner TanzFaktur – Tanz in NRW 08/24
Wunderbar: alles ohne Plan
„Leise schäumt das Jetzt“ in der Alten Feuerwache – Tanz in NRW 07/24
Vor der Selbstverzwergung
Ausstellung zu den „Goldenen Jahren“ des Tanzes in Köln – Tanz in NRW 06/24
Philosophie statt Nostalgie
Das Circus Dance Festival in Köln – Tanz in NRW 05/24
Das Unsichtbare sichtbar machen
Choreographin Yoshie Shibahara ahnt das Ende nahen – Tanz in NRW 04/24
Tennismatch der Kühe
„Mata Dora“ in Köln und Bonn – Tanz in NRW 03/24
Kommt die Zeit der Uniformen?
Reut Shemesh zeigt politisch relevante Choreographien – Tanz in NRW 02/24
Am Ende ist es Kunst
Mijin Kim bereichert Kölns Tanzszene – Tanz in NRW 01/24
Eine Sprache für Objekte
Bundesweites Festival Zeit für Zirkus 2023 – Tanz in NRW 11/23
Die Sprache der Bewegung
Die Comedia lockt das junge Publikum zum Tanz – Tanz in NRW 10/23
Kinshasa und Köln
„absence#4“ im Barnes Crossing – Tanz in NRW 09/23
Tänzerinnen als „bad feminist“
tanz.tausch in Köln – Tanz in NRW 08/23
Den Blick weiten
Internationales Tanz-Netzwerk Studiotrade – Tanz in NRW 07/23
Visionen, Mut und Fleiß
Rund zehn Jahre Kölner Tanzfaktur – Tanz in NRW 06/23
Dialoge der Körper
SoloDuo Tanzfestival in Köln – Tanz in NRW 05/23
Das überraschende Moment
Bühnenbildner miegL und seine Handschrift – Tanz in NRW 04/23
Gesellschaftlicher Seismograph
8. Internationales Bonner Tanzsolofestival – Tanz in NRW 03/23
Akustischer Raum für den Tanz
Jörg Ritzenhoff verändert die Tanzwahrnehmung – Tanz in NRW 02/23
Kann KI Kunst?
Experimente von Choreografin Julia Riera – Tanz in NRW 01/23
Wie geht es weiter?
Mechtild Tellmann schaut auf Zukunft des Tanzes – Tanz in NRW 12/22
Der Zirkus verwandelt die Welt
„Zeit für Zirkus“ - Festival in NRW – Tanz in NRW 11/22
Reflexion oder Reaktion?
Urbäng! Festival mit Sonderausgabe zur Ukraine – Festival 10/22