Der Kölner Kulturbürger kann sich eigentlich ganz glücklich fühlen. Kaum eine deutsche Großstadt verfügt über eine derart rege freie Kulturszene wie Köln. Deren Angebote von Musik, Kunst, Theater und Tanz werden ebenso rege wahrgenommen. Was den meisten Besuchern allerdings entgeht, ist die prekäre Lage der Kulturschaffenden, die oft an Selbstausbeutung grenzt. Kein Wunder, dass bereits von einem Kulturprekariat gesprochen wird. So ist die Forderung des Kölner Theaterbeirats, den freien Theatern ein Zehntel der Mittel der städtischen Bühnen zur Verfügung zu stellen, nur als eine Mindestforderung für ein menschenwürdiges Leben der Künstler zu verstehen.
Jedes Jahr wenn die Haushaltsberatungen starten, beginnt der Tanz um die Fördermittel neu. Die Krux ist: Kulturförderung ist eine freiwillige kommunale Aufgabe, und auf den künstlerischen Bühnentanz setzt Köln seit Jahren eher zähneknirschend als überzeugt. Damit werden die Zuschuss-Forderungen für den Tanz selbst zu einem Eiertanz, denn in der Verteilungskette steht er traditionell an letzter Stelle. Das hat sich mit dem Tanzförderkonzept von 2011 nur marginal geändert. Immerhin gibt es nun mit der Einführung der Konzeptionsförderung (30000 € p.a.) und der Projektförderung (15000 € p.a.) neben den Einzelförderungen für sieben Kölner Tanzensembles eine mehrjährige bescheidene Planungssicherheit. Dass derzeit mit „mouvoir“ und „bodytalk“ zwei Kölner Tanzensembles in der Spitzenförderung (60000 € p.a.) des Landes NRW sind, spricht für Köln als wichtigen Tanzstandort.
Unverständlich bleibt allerdings, warum nur mouvoir zusätzlich in die Kölner Konzeptionsförderung übernommen wurde, die Gruppe bodytalk aber nicht. Nachvollziehbare Erklärungen gibt es seitens der Kulturverwaltung dazu keine. Das Leitungsteam von bodytalk mag vielleicht nicht so Netzwerk-affin sein, künstlerisch jedenfalls haben sie die Nase vorn und sind enger mit Köln verbunden als mancher wahrhaben will. Mit seinen ebenso kritischen wie unterhaltsamen Tanztheaterstücken knüpft bodytalk an das von Johan Kresnik in Köln entwickelte Choreografische Tanztheater an. Wer weiß schon, dass Kresnik sieben Jahre unter Aurel von Milloss beim Kölner Ballett tanzte, bevor er 1968 mit „Paradies?“, einem Tanzstück über das Attentat auf Dutschke, die erste deutsche politische Choreografie seit 1932 schuf (Kurt Joos, „Der grüne Tisch“). Die Wiege des (politischen) deutschen Tanztheaters stand also in Köln und nicht in Wuppertal. Brav war der Tanz in Köln also nie. Doch damit entsprach er ganz der kölschen Mentalität, sich gegen Besatzer, Besetzer und Verbote aufzulehnen. Ihn zu unterdrücken, wurde immer wieder versucht.
Etwa von Konrad Adenauer, der 1926 Béla Bartóks „Der wunderbare Mandarin“ wegen seiner angeblich unmoralischen Handlung verbot. bodytalk steht mit seinen Stücken für ein politisch-sozialkritisches Genre im Tanz und damit in einer Tradition, die der Kommune den Erhalt dieses Ensembles in seinen Mauern allemal wert sein sollte.
Spielpläne: www.bodytalkonline.de | www.mouvoir.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Im Kreisrund sind alle gleich
4. Ausgabe des Festivals Zeit für Zirkus – Tanz in NRW 11/24
War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24
Supergau?
Die TanzFaktur steht wieder einmal vor dem Aus – Tanz in NRW 09/24
Kaffee, Kuchen, Stacheldraht
12. Tanz.Tausch Festival in der Kölner TanzFaktur – Tanz in NRW 08/24
Wunderbar: alles ohne Plan
„Leise schäumt das Jetzt“ in der Alten Feuerwache – Tanz in NRW 07/24
Vor der Selbstverzwergung
Ausstellung zu den „Goldenen Jahren“ des Tanzes in Köln – Tanz in NRW 06/24
Philosophie statt Nostalgie
Das Circus Dance Festival in Köln – Tanz in NRW 05/24
Das Unsichtbare sichtbar machen
Choreographin Yoshie Shibahara ahnt das Ende nahen – Tanz in NRW 04/24
Tennismatch der Kühe
„Mata Dora“ in Köln und Bonn – Tanz in NRW 03/24
Kommt die Zeit der Uniformen?
Reut Shemesh zeigt politisch relevante Choreographien – Tanz in NRW 02/24
Am Ende ist es Kunst
Mijin Kim bereichert Kölns Tanzszene – Tanz in NRW 01/24
Eine Sprache für Objekte
Bundesweites Festival Zeit für Zirkus 2023 – Tanz in NRW 11/23
Die Sprache der Bewegung
Die Comedia lockt das junge Publikum zum Tanz – Tanz in NRW 10/23
Kinshasa und Köln
„absence#4“ im Barnes Crossing – Tanz in NRW 09/23
Tänzerinnen als „bad feminist“
tanz.tausch in Köln – Tanz in NRW 08/23
Den Blick weiten
Internationales Tanz-Netzwerk Studiotrade – Tanz in NRW 07/23
Visionen, Mut und Fleiß
Rund zehn Jahre Kölner Tanzfaktur – Tanz in NRW 06/23
Dialoge der Körper
SoloDuo Tanzfestival in Köln – Tanz in NRW 05/23
Das überraschende Moment
Bühnenbildner miegL und seine Handschrift – Tanz in NRW 04/23
Gesellschaftlicher Seismograph
8. Internationales Bonner Tanzsolofestival – Tanz in NRW 03/23
Akustischer Raum für den Tanz
Jörg Ritzenhoff verändert die Tanzwahrnehmung – Tanz in NRW 02/23
Kann KI Kunst?
Experimente von Choreografin Julia Riera – Tanz in NRW 01/23
Wie geht es weiter?
Mechtild Tellmann schaut auf Zukunft des Tanzes – Tanz in NRW 12/22
Der Zirkus verwandelt die Welt
„Zeit für Zirkus“ - Festival in NRW – Tanz in NRW 11/22
Reflexion oder Reaktion?
Urbäng! Festival mit Sonderausgabe zur Ukraine – Festival 10/22