Das Jahrhundert, in dem Frauen nur Bekanntheit als Anhängsel ihrer Ehemänner erhielten, ist vorbei. Aber nun gilt es, sie aus dem Schatten der Männer hervor zu holen und ins Licht zu rücken. Thea Sternheim ist so eine Frau, deren Lebensweg (1883 - 1971) sich durch die Welt der Kunst in Deutschland, Frankreich und Belgien zog. Sie war befreundet mit Max Reinhardt, Frank und Pamela Wedekind, Heinrich Mann, Gustav Klimt, Gottfried Benn, Franz Masereel und André Gide. Aufgewachsen ist sie in Köln am Hansaring, der Vater war ein wohlhabender Industrieller. Die Kunsthistorikerin Dorothea Zwirner hat dieses unglaubliche Leben in ihrer Biographie „Thea Sternheim“ rekonstruiert.
Recht betulich wird erzählt und trotzdem mag man dieses Buch – einmal begonnen – nicht mehr aus der Hand legen. Auf 360 eng gedruckten Seiten erzählt Zwirner das Leben von Thea Sternheim sozusagen von A bis Z. Tatsächlich liest sich dieses Leben wie ein Romanstoff, in dem Affären, leidenschaftliche Liebesbeziehungen, Kuckuckskinder, und Dreiecksbeziehungen vorkommen. Dass da niemand denkt, unsere Großeltern hätten nur Händchen gehalten. Möglich wurde dieses ungewöhnliche Projekt, weil Thea Sternheim schon in jungen Jahren ein Tagebuch schrieb, damit nie aussetzte, und so ein gigantisches Werk entstand.
Kritische Distanz zu ihrer Protagonistin dosiert Dorothea Zwirner zurückhaltend. Thea Sternheim nimmt durch ihr ausgeprägtes Selbstbewusstsein und eine Entschlossenheit für sich ein, die schon in Kindheitsjahren ausgeprägt war. Eine Tochter reicher Eltern, die sich auch in den Jahren bitterer Armut während des Zweiten Weltkriegs in Brüssel und Paris durchbeißen konnte. Zwei ihrer drei Kinder verliert sie früh, darunter ihre Tochter Mopsa, die im Französischen Widerstand kämpft und das Ende des Krieges im KZ Ravensbrück erlebt. Mopsa war mit Erika und Klaus Mann und Annemarie Schwarzenbach befreundet, eine leidenschaftliche Affäre führte sie mit Gottfried Benn. Dorothea Zwirner führt uns an der Seite von Thea Sternheim durch die Welt der intellektuellen Prominenz der Zwischenkriegszeit und zeigt sie aus einem privaten Blickwinkel, der absolut faszinierend ist.
Auf Einladung der Buchhandlung Klaus Bittner stellt Dorothea Zwirner am 2. 12. 2021 ihr Buch in der Stadtbibliothek Köln um 10 Uhr vor.
Dorothea Zwirner: Thea Sternheim. Chronistin der Moderne | Wallstein Verlag | 414 Seiten | 24 Euro
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