An einem novemberlich verregneten Sonntagabend präsentierte der Dortmunder Autor Calvin Kleemann ein funkelndes Kaleidoskop expressiver Lyrik: Mit einem kraftvollen Set aus 17 teils frei vorgetragenen (prosa-)lyrischen Texten wusste Calvin vor überwiegend heimischem Publikum in der Kultkneipe „Platz an der Sonne“ anspruchsvoll zu unterhalten und künstlerischen Tiefgang in die verslammte Poetry-Szene zurückzubringen. Hierbei knüpft der 22-Jährige, der bereits über achtjährige Bühnenerfahrung verfügt, nahtlos an seinen erfolgreichen Einstand als Teil des studentischen Literaturkollektivs „Treibgut – Literatur von der Ruhr“ im ausverkauften KulturCafé der Ruhr-Uni Bochum zusammen mit ‚Promi‘ Frank Goosen an
Bei Calvin Kleemanns ausdrucksstarker dramatischer Gedichtperformance verschmilzt die Perspektive des lyrischen Ichs mit „ewigen Fragen“ nach dem Sinn des Seins in einem erodierenden (poetischen) Kosmos. Den leitmotivischen Rahmen hierfür bilden Gedichte aus seinem neuen Lyrik-Band „Stellaris“, einem Streifzug durch ein schillerndes Text-Universum, wo Kaskaden zeitgeistkritischer Gedankenfunken aufflammen. Doch selbst in kosmischer Kälte und Finsternis fehlt der Blick für das Schöne nicht – etwa wenn ein Schauer glitzernden Gesteins am geistigen Auge des Betrachters vorbeizieht: Latenter Leere als Seelenzustand einer „gläsernen Generation“ in Zeiten drahtloser Weltvernetzung setzt Calvin Wortdiamanten im Kieselmeer der Zeit entgegen.
Zuweilen jedoch erscheint das der Kunst geweihte Leben wie „Schiffe versenken“ und Worte werden zuweilen zu Torpedos. Aber als Calvin im ruhigen Prosagedicht Seidenfaden andächtig die „stummen Tränen im letzten Blick“ des sterbenden Großvaters beschreibt, wird die Bühne für einen Wimpernschlag zum „Wohnzimmerhospiz“, wo sich ein „Zentrum der Leere am Rande der Zeit“ manifestiert: „Zeit zerstört alles; jeder Tag ist nur Zeuge seines eigenen Untergangs.“
Doch das lyrische Ich ist robust genug, um die Reise durch das poetische Universum fortzusetzen, die in zugleich körperlicher und kosmischer Verschmelzung kulminiert: „Alle Lust will Tiefe – tiefe Ewigkeit.“ Nach einem lyrischen Brief an den einst brüderlich geliebten, schließlich verlorenen Kindheitsfreund sowie einem literarischen Ärzte-Medley streift Calvin auch das Thema Borderline: „Unter meinen Füßen die Freiheit – und um meinen Hals die Krawatte als Strick.“
Auch eine Rilke-Referenz blitzt einmal panthergleich vor dem virtuellen Auge des Betrachters auf: „Ist die Wildsafari nur noch ein Käfig im Streichelzoo?“ Unbeirrt streift das Lyrik-Ich jedoch zivilisatorische wie mythologische Fesseln ab und geht „losgelöst von Chronos (…) ewig weit.“ Mit dem letzten Text der Performance erzeugt der Dortmunder Lyriker nicht nur bildlich einen „Amoklauf im Blutkreislauf“ und sinkt im Platz an der Sonne nach langem Applaus erschöpft ins Sofa...
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