Einträchtig sitzt die Familie vor dem Fernseher. Die Mutter hat ein Handtuch um die nassen Haare gebunden. Die beiden Kinder sind schon im Schlafanzug. Bloß das Programm will so gar nicht zum gemütlichen Ausklang des Tages passen. Erschreckende Bilder von Kriegen in aller Welt flimmern über den Schirm – Gott sei dank aus weit entfernten Teilen der Welt. Doch dann bricht einer der dort kämpfenden Soldaten plötzlich durch die Schrankwand hindurch, fällt schwer verwundet mitten ins Wohnzimmer und stirbt. Die heile Welt der Familie ist mit einem Mal zerbrochen.
Der Knalleffekt auf der Bühne steht im deutlichen Kontrast zur Musik. Der Chor singt „Requiem aeternam“ – ewige Ruhe. Nun erklingt ein Requiem gewöhnlich in der Kirche – als musikalisch gestaltete Totenmesse. Die Romantiker mit ihrem Hang zu großen sinfonischen Orchesterbesetzungen brachten das Genre auch in den Konzertsaal. Auf einer Opernbühne aber wird man solch ein Werk normalerweise nicht zu sehen bekommen – weil es normalerweise auch nicht viel zu sehen gibt. Das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier macht nun mit einem Novum auf sich aufmerksam: Erstmals überhaupt hat Regisseurin Elisabeth Stöppler Benjamin Brittens „War Requiem“ mit einer eigenen Bühnenhandlung versehen. Stöppler setzt damit ihren viel beachteten Britten-Zyklus „Trilogie der Außenseiter“ fort.
Rhythmus und Ablauf des Stücks werden von sechs liturgischen Teilen der lateinischen Totenmesse, die als Grundgerüst fungieren, und neun eingeschobenen Gedichtvertonungen des Poeten Wilfred Owen bestimmt, der im Ersten Weltkrieg fiel. Es ist ein – im Vergleich zur Oper – sehr langsamer Rhythmus, den es szenisch auszufüllen gilt.
Stöppler beweist dabei einmal mehr, wie gut sie ihr Handwerk versteht. Den großen, verstärkten Opernchor, dazu noch einen Kinderchor bindet sie geschickt neben den drei Solisten als Akteure ein. Die Bühne von Kathrin-Susann Brose wird zeitweise zum rauchenden Schlachtfeld. Die bildgewaltige Ergänzung dazu liefert Video-Künstler Andreas Etter, der als Kriegsreporter Live-Bilder von der Bühne liefert, die mit vorproduzierten Filmsequenzen vermischt auf große Leinwände projiziert werden. Dabei entsteht zuweilen eine solche Flut von Bildern und Szenen, dass es für den Zuschauer reichlich verwirrend wird.
Regisseurin Stöppler versucht zu viele Deutungsaspekte unterzubringen und dazu noch eine Aktualisierung zu liefern. Bei ihr geht es nicht mehr wie bei Britten, der sein „War Requiem“ 1961/62 zur Wiedereinweihung der 1940 zerbombten Kathedrale von Coventry schrieb, um die Gräuel der Weltkriege, sondern um heutige Konflikte und Kriegstreiberei in den Medien. Immerhin dieser Aspekt erscheint klar.
Trotz Abstrichen ist Stöpplers „War Requiem“ eine Aufsehen erregende und dabei auch sehenswerte Produktion, die durchaus Nachahmer finden könnte. Die Musik kommt dabei keineswegs zu kurz. Chefdirigent Rasmus Baumann zeichnet für die Gesamtleitung verantwortlich und hält die vielen Fäden zwischen großem Orchester, Kammerorchester, Chor, Kinderchor und Solisten sicher in Händen. Mit Petra Schmidt als Mutter, William Saetre als Vater und Bjørn Waag steht zudem ein Solisten-Trio auf der Bühne, das starke Gefühle und feine Zwischentöne gleichermaßen zu transportieren versteht.
„War Requiem“ von Benjamin Britten I R: Elisabeth Stöppler I Musiktheater im Revier Gelsenkirchen I So 3.7., 18 Uhr, Do 7.7. 19.30 Uhr, So 10.7. 18 Uhr I 0209 409 72 00
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