Was wäre, wenn? Jeder kennt wohl solche Gedankenspiele: Sie sind reizvolle Experimente mit der Geschichte, aber auch mit dem Verlauf des eigenen Lebens. Wo wäre ich heute, hätte ich mich an einer Wegkreuzung meines Lebens anders entschieden? Wer wäre ich geworden, hätte ich einen bestimmten Menschen nicht kennengelernt?
In seiner unheimlichen Erzählung „The Jolly Corner“ thematisiert der in New York geborene und in London gestorbene Autor Henry James die Konfrontation eines Mannes mit seinem „alternativen“ Leben: Nach 23 Jahren kehrt Spencer Brydon aus Europa nach New York zurück und trifft dort seine Jugendfreundin Alice. Aus der Frage, welche Person er geworden wäre, hätte er sein Leben in New York verbracht, entwickelt sich ein Gedankenspiel, das ganz nach Art von Henry James einen geisterhaft unklaren Verlauf nimmt: In seinem Elternhaus, gefüllt mit Erinnerungen an seine Jugend, trifft er auf einen Doppelgänger – jenen Brydon, der er in New York hätte werden sollen. Würde Alice auch dieses unheimliche Geschöpf einer ungelebten Geschichte lieben können?
Frei nach Henry James hat der in Düsseldorf und Paris lebende Komponist Manfred Trojahn auf ein eigenes Libretto ein 90-minütiges „Kammerspiel in sechs Szenen“ geschrieben, das am 3. Dezember in der Düsseldorfer Oper uraufgeführt wird. Der 1949 geborene Trojahn ist einer der bedeutendsten deutschen Komponisten der Gegenwart. Bis 2016 war er Professor für Komposition an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf. Seine erste Oper „Enrico“ wurde 1991 in Schwetzingen uraufgeführt. Ihr folgten sechs weitere Musiktheaterwerke, darunter „Was ihr wollt“ nach Shakespeare (1998 in München), „Limonen aus Sizilien“ (2003 in Köln; 2005 in Würzburg), „La grande magia“ (2008 in Dresden), „Orest“ (2011 in Amsterdam) und 2022 „Eurydike – Die Liebenden, blind“ in Amsterdam.
Die Uraufführung der „Septembersonate“ inszeniert Johannes Erath, der zuletzt mit Bellinis „La Sonnambula“ an der Deutschen Oper am Rhein hervorgetreten ist. Am Pult des Kammerorchesters steht der ab 2024 amtierende neue Chefdirigent der Rheinoper, Vitali Alekseenok. Heike Scheele gestaltet die Bühne. In den Gesangspartien sind Holger Falk (Brydon), Roman Hoza (Doppelgänger Brydons), Juliane Banse (Alice) und Susan Maclean (Mrs. Muldoon) zu erleben.
Septembersonate | 3. (UA), 9., 14., 29.12., 3., 14., 27.1. | Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf | 0211 89 25 211
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