Mit üppigen Bühnenbildern sind Tanzproduktionen nur selten gesegnet. Den Raum erobert hier eher der Körper als die visuelle Bildkomposition. In Belgien ist das anders, dort etabliert sich die international experimentierfreudigste Szene. Peeping Tom stellt auch in ihr eine Besonderheit dar, denn das Regieduo Frank Chartier und Gabriela Carrizo spielt subtil mit dem schon im Namen angedeuteten Voyeurismus.
Mitunter beschleicht einen beim Blick auf die Bühnenbilder der Eindruck, als ob man in ein Unterwasser-Szenario geraten sei. Das letzte Gastspiel offerierte uns noch das Panorama eines abgebrannten Theaters, nun ist der stilvolle Veranstaltungssaal eines Altersheims der Ort des Geschehens. Die Fenster sind so hoch angebracht, dass niemand hinein- oder hinaussehen kann. Eine junge Frau mit elegantem Kleid, hohen Schuhen, betritt den Schauplatz, über dem eine unheimliche Atmosphäre liegt. Solche Lichtverhältnisse kennen wir sonst nur aus den plüschigen Thrillern von David Lynch. Die Zeit scheint still zu stehen.
Grausig geht es an diesem Abend im Depot 1 des Kölner Schauspiels jedoch nicht zu, dafür aber grotesk. Die Flamen zeigen ihre Produktion „Vader“, in der das ganze Spektrum der Diskussion über Verfall und Vitalität enthalten ist, wie es unsere Gesellschaft in den letzten Jahren umtreibt. Ein Abend, an dem Tanz und Theater auf besondere Weise verschmelzen. Die junge Taiwanesin Yi-Chun Liu führt als zentrale Protagonistin durch den Abend, während ihr Körper Bewegungssequenzen in den Raum zaubert, an denen sich die emotionale Spannung einer Situation wie in einem Spiegel seismographisch erfassen lässt. Niemand schüttelt das Haar so elegant und aufreizend wie sie, niemand verwandelt sich beim Ausziehen eines Mantels in eine gummiartige Comic-Gestalt und niemand vermag wie sie geschmeidig gleich einer Schlange auf den Knien zu gehen.
Peeping Tom entdeckt die Welt der Senilen und Gebrechlichen für den Tanz, schon dieser Ansatz ist ungewöhnlich, Bewegung dort aufzunehmen, wo sie stottert und zerbricht. Zehn Senioren aus Köln stehen mit dem achtköpfigen Ensemble aus Brüssel auf der Bühne. Ein alter Mann wird an den Rocksäumen von seinem Sohn ins Heim geschleift. Befremdlich und heiter zugleich präsentiert sich die Szene, wie man überhaupt nie entscheiden kann, wie eine Geste ausgelegt ist. Sind die Alten, wenn sie nicht antworten, starrsinnig, taub oder in fröhliche Grübelei versunken? Die Seniorenkapelle spielt Bossa Nova, es wird Suppe ausgeteilt, in deren Kessel als Ersatz für ein Huhn die unbekleidete Yi-Chun Liu schmort, und es werden die Windeln gewechselt. Das alles gehört dazu.
Wie lässt sich Würde erhalten, wo stürzt sie ab, wo wird sie vom Räderwerk des Alltags zermalmt? Wo produziert die Gebrechlichkeit der Senioren Anteilnahme und wo stellt sich unverhohlene Komik ein? Denn die tapsenden Alten, die manchmal zu erstaunlich graziösen Gesten fähig sind, können einem auch ein Schmunzeln abringen. Fragen, auf die das erfinderische Spiel der Belgier keine Antworten geben will. Chartier und Carrizo suchen die Herausforderung vielmehr in der Auflösung der Konturen von Menschen und Gesten. Besitzt der Familienpatriarch noch Autorität, wenn er sich gebärdet wie ein Kind? Stehen wir Söhne und Töchter nicht schon mit einem Bein in der Welt der Senioren. Wie austauschbar der „Vader“ doch ist, wird deutlich, wenn ein Sohn gegen seinen „Alten“ lauthals schimpft, und der kurzerhand von einem anderen Darsteller ersetzt wird.
Die Klasse von Peeping Tom zeigt sich nicht alleine in der Originalität und der klugen Bearbeitung des Themas, sondern auch in der kunstvollen Auflösung der Gestalt. Sie bleibt stets das Sujet der diesmal eher spärlich ausgestreuten Tanzsequenzen. Gleichwohl, die Belgier zeigen, mit welcher Raffinesse der Tanz originäre Bilder im großen Angebot der visuellen Medien zu bieten vermag, und wie scharfsinnig sich aktuelle gesellschaftliche Themen über dem Repertoire der Bewegung kommentieren lassen. Sinnlich geht es dabei zu, auch im Altersheim.
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