Marc Brummund drehte nach dem Studium der Psychologie, der Journalistik und des Dokumentarfilms zunächst Werbefilme, bevor er die Meisterklasse Regie der Hamburg Media School besuchte. Seine Kurzfilme wurden mehrfach ausgezeichnet. Für „Freistatt“ (Kinostart: 25.6.) erhielt er den Emder Drehbuchpreis (Grimme-Jury), den Deutschen Drehbuchpreis (Lola in Gold) und den Max-Ophüls-Publikumspreis 2015.
trailer: Marc, warum hast du dieses Thema für dein Debüt gewählt?
Marc Brummund: Ich wusste, das muss etwas sein, was eine Relevanz hat. Durch einen Fernsehbeitrag wurde ich auf die „Schwarze Pädagogik“ aufmerksam. Ich las das Buch „Schläge im Namen des Herrn“ von „Spiegel“-Autor Peter Wensierski. Ich fand es interessant, dass es bis in die 70er Jahre diese harten Fürsorgeheime gab. Diese Diskrepanz zwischen der neuen Bewegung der 68er, Liberalisierung in Politik, Sexualität, Rockmusik – und innen drin in dieser Gesellschaft haben sozusagen die Nazis weitergemacht.
Gab es auch einen persönlichen Bezug?
Tatsächlich las ich dann über dieses sehr heftige Heim bei Diepholz, wo ich geboren und bis zum zehnten Jahr aufgewachsen bin, und auch als Schüler Ausflüge in genau dieses Moor gemacht habe. Das hat mich wahnsinnig berührt und bewegt, als ich mir vorgestellt habe: Irgendwo hier haben vor noch nicht langer Zeit Kinder und Jugendliche ganz heftig gelitten.
Inwiefern sahst du in dem Thema Kinopotenzial?
Ich habe gemerkt, dass trotz der Heftigkeit der Geschichte, der physischen und psychischen Gewalt, dass diese Zwangsarbeit im Moor – diese Insellage, eine Art Alcatraz, die Kinder in den Loren – Schauwerte und eine große Abenteuerlichkeit hatten. Ich konnte mir nie vorstellen, dass kongruent zum Inhalt auch die Bilder drückend sind; sprich, alles in geschlossenen Räumen, schwarzweiß oder entsättigte Bilder. Ich will mit dem Thema ja ein möglichst großes Publikum erreichen. Das bedeutet, dass man auch immer versuchen muss, zu unterhalten. Deswegen habe ich versucht, diese relevante Geschichte in ein Genre-Gewand zu verpacken, in eine amerikanische Erzählweise bis hin zum Look.
Wie verlief die Kooperation mit der Diakonie?
Es war mir ganz wichtig, dass wir die Diakonie Freistatt selbst, den Ort, wo das passiert ist, kontaktieren. Die von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel sind ja heute ganz anders aufgestellt. Sie bekennen sich wie kaum eine andere Einrichtung zu ihrer Vergangenheit und haben sogar ein Buch herausgebracht. Ich dachte mir: Wenn die sich das alles trauen und wenn wir die mit ins Boot holen, dann wird da ein Schuh draus. Wir sind hingefahren und haben uns mit der Leitung unterhalten. Die haben auch den ersten Kontakt hergestellt zu einem ehemaligen Zögling, Wolfgang Rosenkötter.
Wie war das Treffen mit ihm?
Er hat mir in vielen Tagen seine ganz persönliche Geschichte geschildert, wie das alles lief in Freistatt, bis ins kleinste Detail. Aus seiner Biografie – auch wenn er ein ganz anderes Wesen hat als die Hauptfigur im Film – ist ganz viel eingeflossen. Es kamen noch weitere Treffen hinzu mit anderen ehemaligen Zöglingen und Erziehern. Einer war dabei, der mir in einer langen Sitzung seine ganze Missbrauchs-Odyssee als kleiner Junge in verschiedenen Heimen erzählt hat. Ich habe am Ende nur gedacht: Was ist das für eine dreckige Welt. Ich habe noch nie so eine schlimme Geschichte gehört. Er hat zu mir gesagt: Vielleicht können Sie das gebrauchen. Machen Sie einen guten Film draus. Seine Erzählung ist in die Figur von Max Riemelt eingeflossen.
Du hast das Drehbuch gemeinsam mit Nicole Armbruster („Festung“) geschrieben. Wie kam es dazu?
Ich habe mich zuerst auf die Fakten konzentriert. Das war noch keine runde Geschichte, eher dokumentarisch. Beim Schreiben und in der Arbeit mit der SWR-Redaktion und dem Produzenten habe ich gemerkt, dass da jemand fiktional ran muss. Bei Nicole habe ich gleich gemerkt, dass sie eine richtige Handwerkerin ist, und wir haben uns gut verstanden. Wir haben lange über Filme gesprochen, die unser Vorbild sein könnten, von „Der Unbeugsame“ mit Paul Newman über „Sleepers“ bis zu „Die unbarmherzigen Schwestern“.
Das Projekt war sicher auch psychisch anstrengend. Konntest du trotzdem Distanz wahren?
Natürlich hat mich das alles wahnsinnig berührt. Ich habe Psychologie studiert, die menschlichen Abgründe haben mich immer schon interessiert. Ich war abgestoßen, aber auch neugierig und wollte es trotz aller Härte für ein Publikum goutierbar machen. Ich habe versucht, mir einen Schutzmantel anzuziehen, damit es mir persönlich nicht zu nahe kommt. Ich dachte, das ist es wert, dass ich mir das alles anhöre. Ich wollte eine Geschichte erzählen, die vor nicht allzu langer Zeit passiert ist, aber von der nicht bekannt war, dass das bis Mitte der 70 Jahre gang und gäbe war.
Wie kam dein 17-jähriger Hauptdarsteller Louis Hofmann mit all dem klar?
Wenn man so ein Thema behandelt, gehen alle mit großem Respekt ran. Aber man muss sich eine gewisse Unbeschwertheit bewahren. Louis ist für sein junges Alter schon ein Profi. Er ist ein wacher, plietscher Junge und hat uns alle angesteckt. Im Casting habe ich ihn spät gefunden, aber schnell gewusst, dass er da professionell rangeht. Und so war das auch mit den anderen Jungs.
Welche Reaktionen hast du bei Festivals erlebt?
Ich glaube, wenn man liest, worum es geht, denken viele: Das tue ich mir nicht an. Die Resonanz von denen, die den Film gesehen haben, war Begeisterung und eine große Gebanntheit. Wahrscheinlich wird man danach mit einem Schlucken rausgehen. Es ist inhaltlich die ganz harte Kost. Aber in einer Art und Weise erzählt, dass man sagen kann: Das kann man sich angucken.
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