Die in Berlin lebenden Dokumentarfilmerin Sibylle Dahrendorf hat mit „Scheitern als Chance“ bereits im Jahr 2000 eine Doku über ein Projekt von Christoph Schlingensief gemacht.
trailer: Frau Dahrendorf, anders als das Opernhaus von Fitzcaraldo in Werner Herzogs gleichnamigen Film erscheint Schlingensiefs Operndorf altruistisch – es ist für die Leute in Burkina Faso gedacht. Dennoch sagt er einmal in Bezug auf das Projekt, er möchte erinnert werden. Wie egomanisch ist die Idee des Operndorfs?
Sibylle Dahrendorf: Ich glaube, dass der Wunsch, erinnert zu werden, an sich nicht egomanisch ist. Ich glaube auch nicht, dass die Idee des Operndorfes egomanisch ist. Jede Idee oder Vorstellung entspringt immer dem eigenen Ego und geht eine Wechselwirkung ein mit dem, was einen umgibt. Christoph hatte einen Traum, dafür hat er eine Gemeinschaft und Verbündete gefunden. Was also ist daran egomanisch, wenn jetzt 50 Kinder in die Schule gehen und lernen können?
Warum kommen Krankheit und Tod von Christoph Schlingensief im Film nur am Rande vor?
Das sehe ich anders, der Tod spielt eine Rolle in dem Film. Gleich der erste O-Ton von Francis Kéré und der etwas später folgende von Stanislas Meda erzählt vom Tod von Christoph Schlingensief. Auch Christoph sprechen vom Tod oder der Frage, was danach wohl kommt. Die Krankheit wird nicht weiter analysiert, das stimmt. Sie reist mit, ist da, wird aber nicht analysiert. Woher kommt sie, warum gerade ich: Das hatten wir in einem früheren Fernsehportrait schon zum Thema. Also geht der Film ganz „unegomanisch“ mit dem Tod um, weil die Weggefährten des Operndorfes sich fragen, wo Christoph jetzt ist? In Burkina Faso gibt es ein anderes Verhältnis zum Tod, als wir Europäer es haben. Der Tod ist da, aber das Leben auch.
Wenn Sie oder andere in das Projekt Involvierte den Film heute gucken – welche Gefühle überwiegen: Trauer um den Verlust oder Glück in Anbetracht des wachsenden Dorfes?
Ich komme gerade aus dem Schnitt, bin also noch nicht an dem Punkt angelangt, wo ich den Film „heute“ gucke, losgelöst von Gestaltungsprozessen. Ich bin traurig. Aber auch erleichtert, dass der Film soweit ist. Und ich bin ziemlich beeindruckt, wie Aino Laberenz und Francis Kéré das Dorf wachsen lassen. Das macht mich natürlich auch froh. Aber Glück? Das wäre zu viel des Guten. Dass Christoph nicht mehr da ist, ist ein schmerzlicher Verlust für alle, die ihn kannten.
Können Sie sich vorstellen, in zehn Jahren erneut mit Kamera zu dem Operndorf zu fahren? Was glauben Sie, oder was hoffen Sie, dortvorzufinden?
Es werden keine zehn Jahre vergehen, bis ich nach Burkina Faso fliege. Wenn ich das nächste Mal fliege, werde ich sehen, wie die Krankenstation entsteht und die nächste Schulklasse eingeschult und das Theater geplant wird. Ich möchte ja auch, dass die Menschen im Operndorf den Film sehen können. Und das soll nicht in zehn Jahren sein.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
„Alles ist heute deutlich komplizierter geworden“
Julien Hervé über „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ – Gespräch zum Film 03/24
„Versagen ist etwas sehr Schönes“
Regisseur Taika Waititi über „Next Goal Wins“ – Gespräch zum Film 01/24
„Ich muss an das glauben, was ich filme“
Denis Imbert über „Auf dem Weg“ – Gespräch zum Film 12/23
„Bei Schule können wir nicht einfach etwas behaupten“
3 Fragen an Johannes Duncker, Drehbuchautor von „Das Lehrerzimmer“ – Gespräch zum Film 04/23
„Ich hatte bei diesem Film enorm viel Glück“
Tarik Saleh über „Die Kairo Verschwörung“ – Gespräch zum Film 04/23
„Ich wollte das damalige Leben erfahrbar machen“
Maggie Peren über „Der Passfälscher“ – Gespräch zum Film 10/22
„Ich wollte das Geheimnis seiner Kunst ergründen“
Regina Schilling über „Igor Levit – No Fear“ – Gespräch zum Film 10/22
„Migration wird uns noch lange beschäftigen“
Louis-Julien Petit über „Die Küchenbrigade“ – Gespräch zum Film 09/22
„Die Wüste ist ein dritter Charakter im Film“
Stefan Sarazin über „Nicht ganz koscher – Eine göttliche Komödie“ – Gespräch zum Film 08/22
„Diese Generationenkonflikte kennen viele“
Katharina Marie Schubert über „Das Mädchen mit den goldenen Händen“ – Gespräch zum Film 02/22
„In der Geschichte geht es um Machtverhältnisse“
Bettina Oberli über „Wanda, mein Wunder“ – Gespräch zum Film 01/22
„Wir wollten kein langweiliges Biopic machen“
Regisseur Andreas Kleinert über „Lieber Thomas“ – Gespräch zum Film 11/21
„Gustave Eiffel war seiner Zeit voraus“
Martin Bourboulon über „Eiffel in Love“ – Gespräch zum Film 11/21
„Richtiges Thema zur richtigen Zeit“
Sönke Wortmann über „Contra“ – Gespräch zum Film 10/21
„Wie spricht man mit einem Kind über den Tod?“
Uberto Pasolini über „Nowhere Special“ – Gespräch zum Film 10/21
„Seine Kreativität lag lange im Verborgenen“
Sonia Liza Kenterman über „Der Hochzeitsschneider von Athen“ – Gespräch zum Film 09/21
„Du denkst, die Erde bebt“
Regisseurin Anne Zohra Berrached über „Die Welt wird eine andere sein“ – Gespräch zum Film 08/21
„Ich würde so gerne gehen. Aber ich weiß nicht, wohin“
Produzentin Bettina Wente über „Nahschuss“ – Gespräch zum Film 08/21
„Es geht bei Fassbinder um Machtstrukturen“
Oskar Roehler über „Enfant Terrible“ – Gespräch zum Film 10/20
„Familienfilm mit politischer Haltung“
Dani Levy über „Die Känguru-Chroniken“ – Gespräch zum Film 03/20
„Nicht alles erklären“
Patrick Vollrath über „7500“ – Gespräch zum Film 01/20
„Corinna Harfouch ist eine Klasse für sich“
Jan-Ole Gerster über „Lara“ – Gespräch zum Film 11/19
„Der Film brauchte eine Bildgewalt“
Christian Schwochow über „Deutschstunde“ – Gespräch zum Film 10/19