Der Messias ist ein Muttersöhnchen. In seinem Jugendzimmer hängt ein Fußballposter über dem Bett, vor dem Einschlafen klampft er gerne noch ein paar Akkorde auf der E-Gitarre – mehr als Möchtegern denn als Rocker. Und wenn‘s kompliziert wird, haut er sogar seine angeblich geliebte Flamme übel in die Pfanne, damit der Mama ja nichts passiert. Seine neuen Kumpels aber bringen ihn ganz groß raus. Sie bauen ihn zum großen „Propheten“ und vermeintlichen Heilsbringer auf. Tatsächlich haben die drei Großes vor: Sie sind Wiedertäufer und planen, die Herrschaft über Münster an sich zu reißen.
Dass es ihnen – zumindest kurz – gelingen wird und wie es endet, weiß jeder, der schonmal die eisernen Käfige am Turm von St. Lamberti gesehen hat. Doch so genau nahm es Giacomo Meyerbeer nicht mit den historischen Fakten. Seine Wiedertäufer enden etwas weniger grausam, dafür angemessen spektakulär für eine „Große Oper“. Vincent Boussard brachte am Essener Aalto-Theater den selten gespielten Fünfakter „Le Prophète“ neu auf die Bühne.
168 Jahre ist die Uraufführung her. Dem Libretto von Eugène Scribe merkt man das auch durchaus an. Die Thematik allerdings könnte in Zeiten, in denen religiöse Fanatiker alle naselang Anschläge begehen, kaum aktueller sein. Boussard ist das offenbar zu naheliegend. Mit Accessoires wie Schweißerbrille und Ledermantel greift er bei seinen Täufer-Kostümen (die auch vom Regisseur stammen) auf Steampunk-Elemente zurück, um zu verfremden. Und in diesem Punkt gelingt ihm das durchaus auch gut. Insgesamt aber bleiben die meisten Regie-Ideen eher vage. Boussard scheint zwischen den Extremen einer opulenten Ausstattungsoper wie anno dazumal und einer modernen szenischen Entschlackung einen Mittelweg gesucht zu haben, der letztlich zu oft in schwachen Kompromissen steckenbleibt. Bestes Beispiel ist die ursprünglich eine Viertelstunde lange Balletteinlage im dritten Akt, die dem Publikum so glücklicherweise erspart bleibt, allerdings durch einen – wesentlich kürzeren – slapstickhaften Auftritt von zwei Ballerinen ersetzt wird, der einen ziemlich ratlos zurücklässt. Immerhin: Humor gibt es durchaus in dieser Inszenierung.
Das Interesse an der Musik könnte beim Publikum einer solchen Rarität überwiegen. Und da bleiben in Essen keine Wünsche offen. Bei Giuliano Carella, GMD aus Toulon, liegt die schillernde, effektreiche Partitur in allerbesten Händen. Der Dirigent kitzelt jede Menge lebendige Details heraus, kann jedoch auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Meyerbeers Stil mitunter sehr redundant ist. Die Essener Aufführung dauert inklusive zweier Pausen immerhin viereinhalb Stunden.
Gesanglich ist die Produktion allerdings spitze: John Osborn ist ein kraftvoller und charismatischer Prophet, Lynette Tapia eine lyrisch fein timbrierte Verlobte Berthe, Marianne Cornetti eine dramatisch präsente Mutter Fidès. Auch Karel Ludvik als böser Graf sowie die Wiedertäufer Tijl Faveyts, Pierre Doyen und Albrecht Kludszuweit machen das Zuhören zur wahren Freude.
„Le Prophète“ | R: Vincent Boussard | 29.4., 5.5., 11.5. 19 Uhr, 14.5. 16.30 Uhr | Aalto Musiktheater, Essen | 0201 81 222 00
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