Da wo „Merce“ drauf steht, ist Merce Cunningham noch lange nicht drin. Soll er aber doch, behauptet die Düsseldorfer Choreografin Gudrun Lange von ihrem Tanzprojekt „Emerging Merce“, das sie mit vier jugendlichen Laiendarstellerinnen im FFT Düsseldorf inszeniert hat. Und da das allgemein Bekannte, das man von Merce Cunningham kennt, sein choreografisches Zufallsprinzip und seine künstlerische Zusammenarbeit mit John Cage ist, streut die Choreografin reichlich Zufall, Zitate und historische Reminiszenzen in das Stück. Doch leider hat Gudrun Lange ihren Cunningham und seinen Zufallsbegriff nach dem I-Ging wohl missverstanden. Vielleicht ist das aber auch ihre Inszenierungsidee: den Meister des Abstrakten einzudampfen auf leicht erkennbare Muster und Abläufe. So ziehen bei ihr zuerst Zuschauer wie auf dem Jahrmarkt Zettel wie Lose aus einem Eimer mit Minutenangaben, an denen im Stück etwas Improvisiertes, Zufälliges geschehen soll. Dann folgen im Stück die vier jugendlichen Darstellerinnen und ziehen ebenfalls Zettel, diesmal wohl mit Bewegungsaufgaben, wie ihre anschließenden holprigen Selbstinszenierungen zeigen. Nur schade, dass diese Bewegungen weder Tanz noch kreativer Spontanausdruck einer Bewegung sind, sondern damit ein weiteres Defizit der Inszenierung bloßgelegt wird: Die Bewegungen bleiben weitgehend exaltiertes Rumgehampel von Amateuren (leider muss das so deutlich gesagt werden), die sichtbar eben nicht spontan und kreativ mit dem Zufall umgehen können, den ihnen die Anweisung auf dem Zettel vorgibt. Wie sollten sie auch? Was professionelle Tänzer ständig und intensiv trainieren, sollen Laien in einer mehrwöchigen Vorbereitung erreichen? Für spontane Improvisationen bedarf es eines umfangreichen, perfekt internalisierten Bewegungsrepertoires. Dass selbst Lange und ihr Team nicht darüber verfügen, zeigen die albernen Improvisationen, bei denen die Choreografin mit auf der Bühne steht.
Nicht nur in diesen Momenten sieht man die engagierten Jugendlichen völlig überfordert von Gudrun Langes krudem Inszenierungskonzept. Die vier mühen sich zwar redlich, aber überzeugend wirken die Jugendlichen nur dann, wenn sie „ihre“ Bewegungen aus Alltag und Disco einbringen. In einer mehrfach wiederkehrenden Disco-Choreografie gehen die Beine in Schrittstellung, knicken die Hüften und fliegen die Köpfe, um in dieser Pose zu erstarren. Dann wieder hantiert die Gruppe pathetisch im Gegenlicht. Das alles mag etwa in einem Schultanz-Projekt gut untergebracht sein. Mit Merce Cunninghams Ideen, seinem Stil, seiner Technik, dem points in space–Prinzip hat das nichts zu tun.
Das Stück beginnt und endet mit einem Cunningham/Cage-Zitat. Da malträtieren die vier Mädchen mit Schlagstöcken eine Anzahl Radiorecorder. Leider völlig uninspiriert hämmern sie minutenlang auf den Geräten herum, drehen wie verrückt an den Sender- und Lautstärkereglern und steigern sich mit akustischen Rückkopplungen in eine Geräuschkakophonie. Doch warum spielt die Choreografin das historische, bei John Cage aus „Imaginary Landscapes No. 4“ entliehene Material nicht im Original ein, sondern lässt es nur nachspielen? Fehlt dazu die choreografische Idee? „Emerging Merce“ ist ein sehr ärgerliches Stück, nicht zuletzt wegen des Etiketts „Merce“, das hier fehl am Platze ist. Da drängt sich schnell der Verdacht auf, dass hier mit großen Namen Zuspruch für eine dürftige Inszenierung eingefahren werden soll. Bleibt zu hoffen, dass Lange sich nicht auch noch Pina Bausch vereinnahmt.
Nächste Vorstellungen im Forum Freies Theater (FFT), Düsseldorf am 19. und 21.April um 19 Uhr, 22. April um 18 Uhr
Mehr Infos unter: www.forum-freies-theater.de oder www.gudrunlange.com
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