„Heil und Verderben“ haben die Schätze aus der Tiefe über die Menschen gebracht. Schätze „aus ewiger Nacht“, die fleißige „Erdgeister“ ans Tageslicht befördert haben. Wenn das mal nicht passt zur einstigen Kohlenpott-Metropole Essen. Am Aalto-Theater hat sich Regisseur Andreas Baesler von der Märchenhandlung der recht unbekannten romantischen Oper „Hans Heiling“ (1833) zu einem regelrechten Kohlenpott-Heimatstück inspirieren lassen und legt dabei große historische Akribie an den Tag.
Denn seine Analogie geht weit über die Gleichsetzung der Bergleute mit den Erdgeistern der böhmischen Sagenwelt hinaus. Dreh- und Angelpunkt der Oper von Komponist Heinrich Marschner und Librettist Eduard Devrient ist der Kronprinz der Erdgeister namens Hans Heiling. In Essen betritt er als Montan-König Alfried Krupp von Bohlen und Halbach die Bühne. Dessen Biografie hat interessante Parallelen zum Geisterkönig, der sein Reich verlässt, um die Liebe einer Menschenfrau zu finden. Denn Krupp hatte 1937 gegen den Willen seiner Mutter Bertha eine geschiedene Frau, Anneliese Lampert, geheiratet. 1941 ließ er sich schon wieder scheiden – um nicht enterbt zu werden.
Nun entstammte die Hamburger Kaufmannstochter Anneliese sicher nicht einer völlig anderen gesellschaftlichen Klasse wie die kleinbürgerliche Anna im Stück. Und auch der Umstand, dass die Bergleute in der Essener Inszenierung zum einen die Erdgeister sind, die Hans Heiling ergeben, zum anderen aber auch die „einfachen Leute“, denen sich Heilings Braut in Person des Bergmanns und Nebenbuhlers Konrad schließlich lieber zuwendet. Besonders darin liegt die logische Achillesferse der Umdeutung.
Wettgemacht wird sie durch die enorm liebevolle Akribie von Regie und Ausstattung. Harald Thor baut das holzgetäfelte Büro der Villa Hügel nach, das Wohnzimmer des Krupp-Bungalows, eine enge Arbeiterwohnung der 1960er sowie die Waschkaue einer Zeche, in der das Fest der heiligen Barbara gefeiert wird. Das ist stark, ebenso gelungen sind die Kostüme von Gabriele Heimann. Allerdings gehen Baesler im Überschwang der Kohlenpott-Nostalgie auch ein wenig die Gäule durch. Ein ausführlicher gesprochener Monolog des Boulevard-Komödianten Hans-Günter Papirnik, der mit authentischer Ruhrischnauze durchaus witzig ist, spaltet das Publikum. Denn er lässt bei überzeugender Performance leider kein Kohlenpott-Klischee aus.
Heiko Trinsinger gibt einen schon recht reifen Heiling/Krupp und gestaltet die Wandlung vom Verliebten zum Eifersüchtigen und schließlich rasend Rachsüchtigen sehr eindringlich. Jessica Muirhead glänzt als Anna mit leuchtendem warmem Timbre. Rebecca Teem singt die Matriarchin mit hochdramatischem Sopran und starkem Vibrato. Jeffrey Dowd ist ein solider Konrad. Frank Beermann dirigiert schön differenziert und transparent.
„Hans Heiling“ | R: Andreas Baesler | 29.4. 16.30 Uhr, 12.5. 19 Uhr, 27.5. 18 Uhr, 22.6. 19.30 Uhr | Aalto-Theater, Essen | 0201 812 22 00
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