Eine klare Ordnung und Gelassenheit weht durch die drei Räume in der Bel Etage des Ständehauses. Leunora Salihu zeigt zwölf ihrer Skulpturen aus den Jahren von 2007 bis 2017. Sie hängen an der Wand, ruhen auf einem Sockel oder liegen auf dem Boden, ja, befinden sich sogar zwischen Boden und Decke. Alles wirkt ganz selbstverständlich und leicht, das liegt an der Kontinuität der Formen, ihrer Lichtdurchlässigkeit und am hellen Holzton der Skulpturen, der im Fußboden aufgenommen ist. Viele der Werke scheinen in ihrer Transparenz um den leeren Raum herum entwickelt, wie ein Brustkorb oder ein Wasserrad. Als elementare Bauprinzipien dominieren Wiederholung und Variation, die von der Natur, etwa als Waben, „vorgelebt“ sind und in der Architektur angewandt werden. Kennzeichnend ist außerdem die handwerkliche Sorgfalt im Umgang mit den Materialien, die etwas Traditionelles kennzeichnet, mit Gips, Ton oder Holz. Oder Keramik, die Salihu noch zum Kostbaren hin glasiert. Sie verbirgt nichts und sie betont Außen und Innen, indem sie diese mitunter in verschiedenen Materialien fasst. Ein Multiplex-Trichter, der oben von einem weißen Gipsring umfangen ist, ist an der inneren Wand mit einem Teppichboden verkleidet, der eine verhaltene Unruhe initiiert. Unten aber ist der Trichter offen, ohne eigenen Boden. In ihrer präzisen Ordnung geben viele ihrer Werke einen Gebrauch vor und lösen ihn doch nicht ein. Eine wichtige Rolle spielt die Symmetrie, etwa wenn gleiche Partien in unterschiedlichen bildhauerischen Zuständen um ein Zentrum angeordnet sind.
Das ist die formale, bildhauerische Seite. Und mit dieser verselbstständigen sich die Skulpturen im Ausstellungsraum. Da ist das Kanu, das über Kopfhöhe hängt. Aus einem kreisrunden Loch in der Bodenfläche fällt eine Strickleiter bis auf den Boden, sodass wir an das Seil des Fakirs denken und nun eigentlich hoch und hinein steigen könnten. Aus der Not – dem Unbrauchbaren für die Schifffahrt – wird die Tugend des Luftschiffs. Eine Wendeltreppe erinnert an eine Wirbelsäule. Zusammengesteckt aus zerbrechlich dünnen Holzscheiben im Stecksystem, endet sie auf halber Höhe. Umfasst ist die Treppe von drei hellgrün gestrichenen Latten, von denen eine auf der zweiten Stufe aufsitzt und die obersten Holzplättchen trägt: Diese Feinheit und geradezu existenzielle Fragilität kam man kaum beschreiben, man sollte es sich anschauen. Die 1977 in Pristina geborene, in Düsseldorf lebende Leunora Salihu hat an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Tony Cragg studiert. Seit gut einem Jahrzehnt gewinnt ihr Werk stetig an Ansehen, sie wurde mit wichtigen Stipendien ausgezeichnet und wird von einer Galerie in Berlin vertreten. Dass es solche Skulpturen im Jahr 2017 gibt und dass sie nun auch im Museum zu sehen sind, ist richtig gut.
„Leunora Salihu – Gravity on a Journey“ | bis 10.9. | K21 Ständehaus, Kunstsammlung NRW in Düsseldorf | 0211 838 12 04
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Die Macht der Bilder
Katharina Sieverding im Düsseldorfer K21
Menschen allein
Lars Eidingers Ausstellung „O Mensch“ in Düsseldorf – Kunst in NRW 10/24
Spiel mit dem Smartphone
Lars Eidinger als Künstler im K21 in Düsseldorf
Aus anderer Perspektive
Szenenwechsel der Sammlung im K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 09/23
Aus dem Besitz
Neupräsentation der K21-Sammlung
Kunst aus Worten und Sätzen
Jenny Holzer im K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 04/23
Identitäten auf dem einen Planeten
Fotografischer Blick auf die afrikanische Welt – Kunstwandel 09/22
Richter zu Ehren
Gerhard Richter im K21 und Museum Ludwig – Kunst in NRW 03/22
Die Fakten zu den Bildern
Marcel Odenbach in Köln und Düsseldorf – Kunst in NRW 12/21
Der Alltag in Strukturen
Isa Genzken in Düsseldorf – Kunst in NRW 07/21
Honigpumpe am Arbeitsplatz
Joseph Beuys' Kunst und Denken in Düsseldorf – Kunst 05/21
Ein Spiegel der Zeit
Die Absolventen der Kunstakademie in K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 03/21
Richter daheim
Gerhard Richter im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 11/24
Noch gemalt
„Zwischen Pixel und Pigment“ in Herford und Bielefeld – Kunst in NRW 09/24
Farbe als Ereignis
Katharina Grosse im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 07/24
Farbe an Farbe
Otto Freundlich und Martin Noël in Bergisch Gladbach – Kunst in NRW 06/24
Am Anfang der Abstraktion
Hilma af Klint und Wassily Kandinsky in Düsseldorf – Kunst in NRW 05/24
Glaube und Wissenschaft
Louisa Clement im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 04/24
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Ritt durch die Jahrhunderte
Die Neupräsentation im Kunstpalast in Düsseldorf – Kunst in NRW 02/24
Ende eines Jahrhunderts
George Minne und Léon Spilliaert in Neuss – Kunst in NRW 01/24
Puls des Lebens
Chaïm Soutine im K20 in Düsseldorf – Kunst in NRW 12/23
Ganz leicht
Christiane Löhr im Bahnhof Rolandseck – Kunst in NRW 11/23
Die stille Anwesenheit der Dinge
Cornelius Völker im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 10/23