Die alte Dame Malerei lebt! Es gibt nicht nur die etablierten Künstler älterer Generationen wie Gerhard Richter, Neo Rauch, Peter Doig oder Karin Kneffel, sondern auch die jüngsten Künstler haben das Malen nicht verlernt. Das belegt ihr hoher Anteil unter den letztjährigen Absolventen der renommierten Kunstakademie in Düsseldorf – eine Erkenntnis der Ausstellung „Coming to Voice“ im Untergeschoss des Ständehauses, der edlen Depéndance der Kunstsammlung NRW. Natürlich sind in dieser Absolventen-Ausstellung, die im dritten Jahr in Folge hier stattfindet, auch die anderen Medien vertreten, die Skulptur und die Installation, die Fotografie und der Film und digitale Beiträge. Gemeinsam vermitteln sie eine spannende – weil niemals platt illustrative – Tendenz, was die Generationen der 25-42-Jährigen bewegt, wie sie sich gesellschaftlichen Phänomenen widmen und Gegenwart transzendieren und in künstlerische Ausdrucksformen übertragen.
Anliegen sind die Befragung des Individuums und seiner soziale Befähigung, die körperliche Wirklichkeit im Virtuellen, Aspekte des Ökologischen mit dem Klimawandel und unserem Verhältnis zur Natur, Gleichberechtigung und Feminismus und wie wir uns im Leben einrichten. Dazu haben die beiden Kuratorinnen der Kunstsammlung NRW fünf Überbegriffe gefunden, um Struktur in die Präsentation zu bringen. Das wäre nicht nötig gewesen, aber warum auch nicht.
Interessant ist bei diesen engagierten Recherchen heutiger Gegenwart eben das Vertrauen der Künstler in die „alten“, klassischen Medien, die hier gar nicht traditionell, altbacken wirken. Eine Arbeit von Jenny Dellhasse zeigt eine hochrechteckige rosafarbene Fläche, auf der nichts als die Linien von Faltungen zu erkennen sind, die auf Origami oder konstruktive Kunst anspielen, dabei aber reale Faltungen und Scan-Vorgänge überblenden; zugleich wird die Aura der unberührbaren Bildfläche zur Diskussion gestellt. Lukas Heerichs technoide und zugleich florale Maschinenskulptur ist als Installation zu verstehen. Im eigenen dunkel gestrichenen Raum ist sie auf Augenhöhe zu umrunden, während ihre Lautsprecher einen anhaltenden, anstrengenden Signalton aussenden, der physische Bedrohung vermittelt und an Katastrophenszenarien erinnert.Andererseits lässt die Skulptur mit ihrer vertikalen Ausrichtung an einen Fetisch denken.
Faszinierend weiterhin die Archäologie unseres häuslichen Lebens, die Sophia Hose, die bei Franka Hörnschemeyer studiert hat, mit transparenten Trennwänden und einem Video in den Raum zaubert. Ebenso fein ist die Sound-Arbeit von Yoora Park, die Bronze-Glocken an Schlüsselhaken aneinander reiht. Klara Virnich dringt mit ihrer Serie „versiegelter“ Porträt-Malereien tief unter die Oberfläche, nur ein Bild ist versehrt, aufgebrochen. Und Paul Schwaderer lässt animierte Enten erscheinen und verschwinden – und doch sind die Werke sämtlicher Künstler komplexer, ausgefeilter als es sich hier beschreiben lässt. Natürlich auch mal stärker und mal weniger interessiert.
Rund 70 Künstler sind mit einer aktuellen Arbeit vertreten, die die Kuratorinnen aus jeweils drei ausgewählt haben. Die Ausstellungsarchitektur, die in die bauliche Struktur eingefügt ist, entstammt der vorausgegangenen Ausstellung mit Hito Steyerl – sie bewährt sich hier, bei diesem Einblick in die jüngste Kunstproduktion, ganz vorzüglich. Auch deswegen: Auch wenn die Ausstellung im Internet gut dokumentiert und durch eine Kurzführung noch vertieft ist, eine Bereicherung wäre ihr Besuch schon.
Coming to Voice – Absolvent_innen der Kunstakademie Düsseldorf 2020 | vorerst bis 21.3. | K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Düsseldorf | 0211 838 12 04 | www.kunstsammlung.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Spiel mit dem Smartphone
Lars Eidinger als Künstler im K21 in Düsseldorf
Aus anderer Perspektive
Szenenwechsel der Sammlung im K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 09/23
Die Fakten zu den Bildern
Marcel Odenbach in Köln und Düsseldorf – Kunst in NRW 12/21
Honigpumpe am Arbeitsplatz
Joseph Beuys' Kunst und Denken in Düsseldorf – Kunst 05/21
Essenz einer Malerei
Edvard Munch in Düsseldorf – Ruhrkunst 12/19
Aus der chinesischen Heimat in die Welt
Ai Weiwei in Düsseldorf – Kunst in NRW 08/19
Ein neuer Blick auf die Kunst
Eine „ex-zentrische Moderne“ in Düsseldorf – Kunst in NRW 02/19
Im Takt
Leunora Salihu im K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 07/17
„Das Virtuelle hinterfragt auch die Konstruktion Museum“
Direktor Alain Bieber vom Kulturzentrum NRW-Forum Düsseldorf – Sammlung 01/17
Aus der Ferne sehr nah
Andreas Gursky in Düsseldorf – Kunst in NRW 09/16
Verletzte Oberflächen
Alberto Burri in K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 04/16
Ganz still
Agnes Martin in Düsseldorf – Kunst in NRW 02/16
Richter daheim
Gerhard Richter im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 11/24
Menschen allein
Lars Eidingers Ausstellung „O Mensch“ in Düsseldorf – Kunst in NRW 10/24
Noch gemalt
„Zwischen Pixel und Pigment“ in Herford und Bielefeld – Kunst in NRW 09/24
Farbe als Ereignis
Katharina Grosse im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 07/24
Farbe an Farbe
Otto Freundlich und Martin Noël in Bergisch Gladbach – Kunst in NRW 06/24
Am Anfang der Abstraktion
Hilma af Klint und Wassily Kandinsky in Düsseldorf – Kunst in NRW 05/24
Glaube und Wissenschaft
Louisa Clement im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 04/24
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Ritt durch die Jahrhunderte
Die Neupräsentation im Kunstpalast in Düsseldorf – Kunst in NRW 02/24
Ende eines Jahrhunderts
George Minne und Léon Spilliaert in Neuss – Kunst in NRW 01/24
Puls des Lebens
Chaïm Soutine im K20 in Düsseldorf – Kunst in NRW 12/23
Ganz leicht
Christiane Löhr im Bahnhof Rolandseck – Kunst in NRW 11/23
Die stille Anwesenheit der Dinge
Cornelius Völker im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 10/23